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Was ist modern?

■ Die Deutsche Kammerphilharmonie spielt in der Glocke drei Meister der Moderne

Satie ist ein Vertreter der Antiromantik. – Aber seine leichten, melancholischen Klavierstücke rühren uns zu Tränen. Fast ein bißchen ähnlich steht es mit Strawinsky. Was als Vernichtung von Pathos geplant war, erscheint heutigen Ohren eher als dessen Errettung. Für die Deutsche Kammerphilharmonie und Jukka-Pekka Saraste, im Hauptberuf Chefdirigent des Finnischen Radiosinfonieorchesters, sind die „Danses Concertantes“ eine Ansammlung von Gesten voller Inbrunst. Wann hört man schon mal im 20. Jahrhundert eine Trompete so vogelfrei über dem Kontrabaß schweben, ein Geigensolo so liebreizend sich winden, ein Trio von Flöte, Klarinette und Oboe so hauchdünn an einer Gefühlsbad-Tonalität vorbeischrappen, daß das Bad durch das Prickeln nur umso gemütlicher wird?

Wenn nach Paukenwirbel und galoppierendem Hochschnellen des ganzen Orchesterapparats die Klarinette zarte Linien zeichnet, dann ist das auskomponierte Euphorie pur – allerdings mit einer psychologisch unerwarteten Fortsetzung. Jede Geste muß bei Strawinsky mit einer seltsamen Antwort rechnen – oder mit abruptem Abbruch. Doch der heutige Konsument, sprunghaft, mobil und bestens trainiert im Zappen von einer Gefühlslage zur nächsten durch die heimische TV-Fernbedienung, empfindet die Wankelmütigkeit der Haltungen, Rhythmen, Taktordnungen und Instrumentenbündnisse nicht als irritierend.

Beethovens 2. Sinfonie entspringt eigentlich einer ganz ähnlichen Geisteshaltung, erklärt uns die antithetische Interpretation der Kammerphilharmonie. Viel Lust hat sie an kleinen Attacken aus den Reihen der jeweiligen Nebenschauspieler auf die Hauptschauspieler. Die Sonatenhauptsatzform wird hörbar als das was sie ist: ein zart gezogener Rahmen, der im Tumult der reichen Substrukturen fast verschwindet. Die Kammerphilharmonie zeigt, wie sehr Beethoven im Unterschied zu vielen Haydn- und Mozartstücken als Projektionsfläche postmoderner Befindlichkeit bestens geeignet ist.

Schönbergs Kammersinfonie ist Antibeethoven, genauer Anti-9.Beethovensinfonie. Der Schlußsatz nämlich zeigt eine ebenso unerwartete wie brutale Bewegung vom Licht ins Dunkel. Im ersten Satz hört man nicht nur dauernd Vorhaltartiges, er ist ein einziger Vorhalt, ein Schieben und Drängen weg vom Jetzt, erst unendlich melancholisch, dann unendlich hart und unerbittlich. Öfters müssen die Streicher ihr ganzes Armgewicht ins Drama einbringen, mal austariert durch eine sehnsüchtige Gegenbewegung des Körpers, später eher in statischer Haltung. Hier gibt es noch die große Erzählung, die durchgehende Entwicklungslogik. So stellte die Kammerphilharmonie an diesem Abend eine interessante These auf: Daß unter gewissen Aspekten Schönberg altmodischer ist als Strawinsky und Beethoven.

Strawinsky läßt der Stimme des Einzelnen viel Raum. Und so ist hier hörbar, daß sich die Musiker mit unterschiedlichem Elan in die Emotionen stürzen. Und diese Differenzen schaden nicht. Gerade im letzten Beethovensatz spricht es dieses Ensemble ganz beeindruckend mit einer Stimme. bk

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