: Zahnarztpraxislärm
■ Beim Festival "Oi-Wa-Woi" beziehen Künstler und Musiker aus Israel Stellung und zeigen Atemübungen für Asthmatiker unter Wasser
Auf der Bühne benimmt er sich wie ein Berserker. Zum hintergründigen Computergrollen spielt er auf seinen Blasinstrumenten mit sich selbst um die Wette, bis schließlich nur noch Knacken übrigbleibt. Dieser Zahnarztpraxislärm tut weh, und eine schwangere Frau verläßt den Raum. Dror Feiler will es nicht um Schönheit gehen, sondern um Wahrheit, Schnelligkeit und die Verwandlung von Ordnung in Chaos. Die europäische Musiktradition sei faschistoid, weil sie den Zuhörer dazu zwinge, passiv zu bleiben, schreibt er. Sein Programm bezieht Stellung, ist altmodisch, setzt aber Energien frei. Darin ähnelt es dem der meisten Musiker und Künstler aus Israel, die zur Zeit im Podewil gastieren.
Es ist die Unmöglichkeit, ohne Angst anders zu sein, die Wiederkehr der Religion als Werkzeug von Politik, es sind die Angriffe orthodoxer Rabbiner auf die Gottlosigkeit der Moderne und die MTV- gläubigen „neuen Juden“, die Musikerinnen wie Meira Asher radikal werden ließen. Songs wie „Dissect Me“, den sie den Opfern der Intifada gewidmet hat, werden in Israel sorgsam ignoriert: „Bury my head in your land. Axe me in the neck, strip off my skin, tear my flesh. Set a stone.“ Hierzulande würde belächelt, wer sich als Avantgardist betrachtete und so hartnäckig politisch wäre wie sie. In einer Gesellschaft aber, in der Ideologie, Verbot und Tabu nicht nur versteckt regieren, hat das seine Berechtigung. Es ist tragisch, daß die meisten der Musiker, die im Podewil auftreten, nicht mehr in Israel leben.
Die Punkband Duralex Sedelex erinnern in ihrer Radikalität an die Slowenen Laibach, die am besten waren, als es den Eisernen Vorhang noch gab. Auch sie reiben sich mächtig an der antimodernen Verbockung ihrer Gesellschaft. Sie hämmern wütend auf ihre Gitarren ein. Im Konzert prallt ihre Wucht aber an der Ratlosigkeit der nicht gerade in Massen erschienenen Menschen ab. Wie den Kindern Kohls erklären, daß Protestsongs sexy sein können?
Protestkultur ist das beste Wort für das, was dieser Tage im Podewil passiert. Eine „nicht repräsentative Auswahl“ hat Arik Hayout getroffen, selbst Perkussionist, Instrumentenbauer, Elektroniker, Videokünstler und seit April 1997 artist-in-residence im Podewil. Anstatt sich auf Klezmer, World Music oder Mainstream-Pop zu verlassen, hat er vor allem Musiker, Video- und bildende Künstler, Performer und Tänzer eingeladen, die sich der Idee der Subkultur verpflichtet fühlen. So ist in den Ausstellungsräumen des Podewil ein Film zu sehen, der Einblick in die junge Videomacherszene Israels vermittelt. Buky Grinberg hat mit zwei verpelzten Diskokugeln und einer überdimensionalen Zitrone einen Raum zu einem möglichen Club verwandelt. Am Sonntag wird er mit einer Stichsäge Figuren aus Spanplatten sägen, verkleidet als Schwein mit Kittelschürze. Am Samstag wird das Enfant terrible der Neuen Musik in Israel, der Komponist Arie Shapira, einen Vortrag über die „Tragödie der zeitgenössischen Musik Israels“ halten. Seiner Aufforderung, sich von der europäischen Musiktradition zu lösen und gegen die Lehrer zu rebellieren, kommen seine Schüler Daniel Baruch alias Snoopy und Uri Pessach nach. In ihrer digitalen Dada-Show werden sie Computer, Samples und Synthesizer sowie Spielzeug nutzen, Tricks und Unsinn machen. Manchmal klingen ihre Geräuschcollagen nach Geigerzählern oder wie die Atemübungen eines Asthmatikers unter Wasser. Maschinelle Tarzanschreie, akustischer Alltagsabfall wie das Zuziehen eines Reißverschlusses und soziale Geräusche von israelischen Nachrichtensprecherinnen werden zu tanzbarer Musik rhythmisiert. Ihr Einspruch gegen den Ernst der Lage hat den Charme der Groteske. Susanne Messmer
Heute, 29.5., 20 Uhr, Tanz & Performance. Morgen, 30.5., 17 Uhr, Vortrag Arie Shapira, Jeffrey Burns spielt „Post Piano“ von Shapira, ab 20 Uhr Snoopy & Uri Pessach, Arik Hayut u.a. So., 31.5., Audio-Video mit Buky Grinberg, Dror Feiler u.a.
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