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„Nur bei Notstand oder im Verteidigungsfall“

■ Sonntagsöffnung im Einzelhandel: Altona will, Bergedorf nicht, Eimsbüttel hat schon

Der Konflikt um Sonntagsöffnungen im Einzelhandel spitzt sich zu: Erstmals hat jetzt ein Parlament – die Bezirksversammlung Bergedorf – einen Antrag auf Öffnungszeiten am Feiertag mit rot-grüner Mehrheit abgelehnt. Hingegen wollen in Altona die Einzelhändler am 21. Juni zum Fest „100 Jahre Rathaus“ öffnen.

Bergedorfs SPD-Bezirksamtsleiterin Christine Steinert war sich der Brisanz des Begehrens mehrerer Ladeninhaber, ihre Geschäfte im Herbst an zwei Sonntagen öffnen zu wollen, bewußt. „Das übersteigt rechtlich meine Kompetenz“, erklärte Steinert der taz. Sie holte sich am Donnerstag abend ein Votum der Bezirksversammlung ein, und die verpaßte ihrem Eimsbüttler SPD-Amtskollegen eine schallende Ohrfeige. Klaus Mantell hatte den Geschäften in der Osterstraße für das Straßenfest vor einer Woche eine Sondergenehmigung erteilt.

Doch nach der Rechtslage, so Steinert, dürften Ausnahmegenehmigungen nur im „dringendem öffentlichen Interesse“, bei „Notstandssituationen“ oder im „Verteidigungsfall“ zur Versorgung der Bevölkerung mit „lebenswichtigen Waren“ erteilt werden.

Wie schnell die Situation aus dem Ruder laufen kann, zeigt sich derzeit in Altona. Dort hatte der Wirtschaftsausschuß des Bezirks in rot-grün-schwarzer Koalition den Geschäften rund um das Altonaer Rathaus zum 100-Jahre-Jubiläum eine Sondergenehmigung erteilt. Inzwischen liegen Öffnungsanträge aus dem ganzen Bezirk vor.

Während die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) sich im Streit um das Osterstraßenfest noch auf verbale Attacken beschränkte, wird in Altona mobil gemacht. „Die Genehmigung ist rechtswidrig“, schimpft HBV-Sprecher Jörg Reinbrecht. Im Osdorfer Elbe-Einkaufzentrum werden daher die Betriebsräte großer Häuser die Öffnung unterbinden. Da in Hamburg die Gewerkschaften zu Sondergenehmigungen nicht gehört werden müssen, sie deswegen auch nicht vor Gericht klagen können, werden betroffene VerkäuferInnen das Zepter in die Hand nehmen. Reinbrecht: „Einige Beschäftigte werden versuchen, durch einstweilige Verfügungen, das Ding zu stoppen.“

Außerdem hat die HBV noch einen Joker in der Hinterhand: die Tarifrunde im Einzelhandel. „In Braunschweig hat es schon mal den Fall gegeben, daß wir in der Tarifrunde an Samstagen Kaufhäuser bestreikt haben“, erinnert sich der HBVler, „und Sonntag gleich weitergemacht haben.“

Unterstützung finden die Gewerkschaften bei der evangelischen Bischöfin Maria Jepsen, die sich in einem Brief an Bürgermeister Ortwin Runde (SPD) für einen garantierten freien Sonntag der 72.000 VerkäuferInnen stark gemacht hat. Das Argument der Wettbewerbsfähigkeit dürfe nicht als „Brechstange gegen den Sozialstaat“ mißbraucht werden, versicherte der Bürgermeister daraufhin in einem Brief an die HBV. Runde: „So ist der Sonntag als Tag der Familie, Verwandten und Freunde für unsere Gesellschaft viel zu wichtig, als daß wir ihn preisgeben könnten.“ Kai von Appen

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