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Anwesenheitspflicht kein Problem

Heute feiert die Schule für Erwachsenenbildung (S.f.E.) ihr 25jähriges Bestehen. Lernen ohne Hierarchien war und ist in der „Oase für Andersdenkende“ das Ziel  ■ Von Kirsten Niemann

„Doof geboren ist keiner, doof wird man gemacht.“ So lautete die Antwort der 68er auf das herkömmliche autoritäre Schulwesen mit seinen verkalkten Lehrern, dem Leistungsdruck und rigider Schulordnung. Lernen ohne Angst, ohne Notengebung und vor allem ohne Rücksicht auf autoritäre Hierarchien – das war das Ziel der linken Intellektuellen. Ein Modell, das im Jahr 1973 im Zuge eines spektakulären Streiks an dem als reaktionär und „direktorfixiert“ geschimpften Grabbe-Institut unter Pädagogen und Lernenden reichlich Anklang fand.

Mehr als 500 Schüler und rund 70 Lehrer kamen schließlich zusammen und legten das Fundament für die erste selbstverwaltete Schule für Erwachsenenbildung (S.f.E.) in Berlin: Vor genau 25 Jahren erhielt die als gemeinnütziger Verein gegründete alternative Einrichtung des Zweiten Bildungsweges die Bafög-Würdigkeit. Nach zwei bzw. sechs Semestern der Vorbereitung auf die Mittlere oder Allgemeine Hochschulreife können die Schüler ihre Prüfung extern, vor einer staatlichen Prüfungskommission, ablegen.

Zwar hat sich die Anzahl der Schüler auf rund 250 und die der Lehrer auf 17 reduziert, doch an den Maximen der Gründergeneration hat sich bis heute nichts geändert. In den Unterrichtsräumen im Kreuzberger Mehringhof geht es leger zu. Der Unterricht beginnt nicht etwa schon morgens um acht, sondern erst um halb zehn. Eine reelle Chance – selbst für Nachtmenschen – zum Unterrichtsbeginn ausgeschlafen zu sein. Trotz des stattlichen monatlichen Schulgelds von 260 Mark sind die Schüler keineswegs Sprößlinge wohlhabender Familien, sondern fast ausnahmslos Bafög-Empfänger. Sie sind im Schnitt 25 Jahre alt und tragen Haare in der Farbenvielfalt eines Tuschkastens. Hunde, Säuglinge und Kumpels sind häufige Unterrichtsgäste, was eigentlich niemanden stört.

Die Räume und sanitären Anlagen sind im Zustand gepflegter Unordnung: Sie sind so sauber, wie die Schüler und Angestellten sie hinterlassen, denn eine Putzfrau gibt es selbstverständlich nicht in dem selbstverwalteten Haus. Und nach dem Unterricht passiert es schon mal, daß ein verdutzter Lehrer einem Schüler an der U-Bahn begegnet: samt Hund und Wolldecke auf dem Boden hockend, träge nölend, „Haste ma' ne Maak??“

Karin Kerner, die damals als Deutschlehrerin zum Projekt S.f.E. stieß, bezeichnet die Schule immer noch als „Ort, der gegen den Strom schwimmt“. Mit leuchtenden Augen erinnert sich die 55jährige an das Chaos vergangener Tage, als Schüler und Lehrer noch im gleichen Alter waren. „Bei uns gab es alles. Ob Quotierungen oder Unterricht in besetzten Häusern während des Häuserkampfes.“ Die Schule als Seismograph der linken Gesellschaft.

Der Alltag in einer selbstbestimmten Schule ist nicht ganz unkompliziert. Die quasi obligatorische Finanzkrise blieb und bleibt akut. Früher wurde die Gesinnung angehender Lehrer auf Leib und Nieren überprüft; sie mußten sogar damit rechnen, nach einem halben Jahr wieder abgewählt zu werden. In den Jahren von 1980 bis 1994 kämpften hitzige Frauenklassen um ihr Recht auf einen Freiraum, in dem sie lernen konnten, ohne dabei in das so gefürchtete „geschlechtsspezifische Rollenverhalten“ zu verfallen. „Die Schule war eben ein radikaler politischer Faktor“, erzählt Karin Kerner. „Sie war eine Lebensform.“ Und die Schüler kamen natürlich nicht nur zum Büffeln. „Wer lediglich die Prüfungen im Kopf hatte, der galt damals als abigeil!“

Heute schlagen sich die Schüler nun mal mit anderen Problemen herum, räumt Karin Kerner ein. Heute sei der Existenzkampf als solcher schlimmer und ein vernünftiger Schulabschluß noch wichtiger. Doch als Oase für Andersdenkende funktioniere die Schule immer noch.

Der 22jährige Schüler Romin sieht in der selbstbestimmten Schule für Erwachsenenbildung eine Chance, Gleichgesinnte zu treffen. „Man kann heute kaum noch Leute aus der linken Szene rekrutieren“, findet er. Die S.f.E. sei eben locker, und man müsse sich nicht autoritären Strukturen beugen. „Jeder ist sich selbst Autorität genug“, findet auch Schüler Andy, ein 32jähriger Radio- und Fernsehtechniker, den es nach jahrelanger Arbeitslosigkeit schließlich wieder zurück an die Schulbank zog. Sein Wunsch: das Abitur nachzuholen, um dann Medientechnik zu studieren. Eine staatliche Schule wäre für ihn niemals in Frage gekommen. „Probleme mit der Anwesenheitspflicht“ ließen ihn schließlich oft genug scheitern. An der Schule für Erwachsenenbildung reizten ihn die lockere Atmosphäre zwischen Lehrern und Schülern und die Herausforderung der freien Zeiteinteilung.

Dennoch: „Die Anforderungen an der S.f.E. werden total unterschätzt“, – das mußte Michael, einer der Geschichtslehrer der ersten Stunde, feststellen. Die Abbrecherquote ist hoch, manche Schüler packen es eben doch nur unter Druck. Andererseits freut man sich über einen internen Zusammenhalt zwischen den Schülern, wie er an anderen Schulen kaum möglich ist. Vandalismus in den Räumen im Mehringhof gibt es kaum. Im Gegenteil: Eine Handvoll Schüler haben ihre Ferien geopfert, um die Schule zu renovieren.

„Wenn ich manchmal höre, was an anderen Schulen passiert: Gewalt und Drohungen“, erklärt Lehrer Michael, „dann kommt es mir so vor, als wäre das auf einem anderen Stern.“

Heute ab 18 Uhr gibt es im Mehringhof eine kleine Jubiläumsparty. Beitrag 5 Mark

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