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Eifersucht spielt Dr. Marbuse

■ Dr. Blohm und Herr Voss gehen brüderlich in die Oper

Aus Mangel an ansprechenden Punkkonzerten in town entschieden sich Blohm und Voss die eingemotteten Firmungsanzüge zu reaktivieren. Sie tranken sich Mut an mittels Rotwein und stolperten in die Premiere der Verismo-Opern „Cavalleria rusticana“ von Pietro Mascagni und „Der Bajazzo“ von Ruggero Leoncavallo

Dr. Blohm: Ich bin schwer erleichtert. Viele Flaschen leer. Voss sieht sich schamhaft um, räuspert sich indigniert Aber auch einige voll. Mit Rotwein. Nein, nicht im Publikum, sehen Sie, da, auf der Bühne. Hier können wir nicht ganz falsch sein. Meine Frau meinte spöttisch, es ginge hier um 'Unsereins'.

Herr Voss: Wenn Sie nur einmal genau hinsähen, würde Ihnen nicht entgehen, daß es sich bei einer der Flaschen um eine Scheinflasche handelt. Nach meinen katholischen Vorkenntnissen handelt es sich hier um eine Madonnenstatue. Sie scheint beim Bühnenvolk um Verständnis zu werben für die schwangere, doch unverheiratete Santuzza. Doch das Volk ist so besoffen wie Sie, Blohm, allerdings nicht nur vom Wein, sondern auch von hochprozentiger Moral.

Blohm: Dafür verzeihen Komponist Mascagni und Regisseur, wie heißt er nochmal, ah, Dominik Neuner, der armen, schändlich verlassenen Santuzza ganz und gar. Schauen Sie, jetzt hängt sie opferlämmig wie der Gekreuzigte an dem Balken.

Voss: Die kokette Lola, scheint mir, mögen Librettist und Regisseur aber nicht so gerne. Ein bißchen Amoral ist erlaubt, bei Ehebruch aber ist Schluß. Gucken Sie nur wie die Arme die Treppe herunterscharwenzeln muß. Bei dem lächerlichen Hüftschwung und Tussen-Armgewedel hat die jeden Morgen nach einer Aufführung einen hartgesottenen Muskelkater. Ich befürchte, solche Frauen gibt es nicht mehr.

Blohm: Hat es nie gegeben. Ich sag's ja immer: Oper ist Kitsch.

Voss: Wenn meine Frau hier wäre, würde sie diesem Regisseur einen dreistündigen Vortrag halten über die Diskriminierung sexuell selbstbestimmter Frauen durch den Mann.

Blohm: Glück gehabt.

Voss: Kennen Sie eigentlich den Film „La terra trema“ von Lucio Visconti. Die Geschichte stammt vom selben Autor, Giovanni Verga.

Blohm: Herr Voss, ich bin beeindruckt.

Voss: Die Schauspieler verhalten sich da irgendwie natürlicher.

Blohm: Was ist natürlich?

Voss: Fangen Sie nur nicht wieder an, philosophisch zu werden.

Schlußapplaus, 1.Teil.

Voss, wispernd: Sehen Sie doch. Unsere Sitznachbarin hört bei der Darstellerin der bösen Lola demonstrativ zu klatschen auf.

Blohm: Manche Leute können eben nicht zwischen Schauspieler und Rolle unterscheiden.

Voss: Müßten mal in ein Punckonzert. Dann würden sie merken, daß es immer die freundlichsten, harmlosesten Menschen sind, die die wüsteste Show hinlegen.

Blohm: Warum machen Sie eigentlich so merkwürdige Halsgymnastik?

Voss: Schämen Sie sich ruhig für mich, Sie Spießer! Immerhin habe ich dafür aufmerksam den deutschen Text auf der Schrifttafel unter der Decke verfolgt. Verständnis fordert eben körperlichen Einsatz.

In der Pause

Blohm: Hm, die Sache mit dem Verismo ist ja auch nicht das Wahre. Diese Leute hatten auch ihre Sympathien, Antipathien, Normen und Vorurteile.

Voss: Und der Regisseur machte mit. Wie rücksichtslos er den Turiddu die arme Santuzza auslachen ließ. So viel Gemeinheit würde ich nicht mal Ihnen zutrauen.

Blohm: Der Mann als Machoschwein. Müßte Ihrer Frau doch eigentlich gefallen.

Voss: Blohm!

Blohm: Naja. Ist halt ein veraltetes Menschenbild. Passend dafür ließ sich der Regisseur ein wunderschönes Bühnenbild bauen, das dem expressionistischen Film der 20er Jahre entspringen könnte.

Voss: Eine implodierende Welt!

Blohm: Voss!

Voss: Aber wo ist Dr. Marbuse?

Blohm: Anstelle Dr. Marbuses meuchelt hier die Eifersucht!

Voss: Aber hier ist alles hell. Nur dezente Licht-Schatten-Kontraste. Dafür gibt es ein visionäres lila Licht da hinten, in der Unendlichkeit, am Bühnenende.

Blohm: Das Kreuz ist der drohende Schatten. Hatten Sie eigentlich auch immer Angst, daß es jeden Moment die Treppe herunterdonnert und diese ganze verlogene Gesellschaft auseinandersprengt?

Voss: Meinen Sie uns?

Blohm: ... und haben Sie die zwei roten Striche an der Wand gesehen, die wie Sternschnuppen aneinander vorbeiflitzen, dieses Meisterwerk zarter, glasklarer Symbolik?

Voss: Natürlich. Auch die Vieldeutigkeit der Farbe Rot ist mir keineswegs entgangen. Das flüchtige Rot des Lippenstifts, das aggressive Torero-Rot der Lola und das heulende Wein-Rot der Santuzza ...Was halten Sie eigentlich von Rachel Tovey?

Voss: Eine Strafe für das Ensemble ...

Blohm: Aber Voss. Denken Sie an Ihre füllige, ich meine, feministische Frau. Das Hollywoodkino muß aus den Körpern sprechen, die Oper aber aus dem Inneren.

Voss: Ich meine nicht die Leibesfülle. Die Tovey hat eine tolle Ausstrahlung. Aber eine noch bessere Stimme. Sie bringt ihre Kollegen zum Verschwinden.

Blohm: Die singen alle gut!

Voss: Aber bei keinem sitzt die Stimme so nahe am Gefühl, ohne Zwischenschaltung von Atemtechnik, Resonanzraumüberprüfung ... Dieses Vibrato - reinstes Seelenzittern.

Blohm: Und manchmal, während sie leidet, beschwichtigt das Orchester. Auch bei Wagner soll es diese bedeutungsschwangere Differenz geben zwischen Gesang und Orchester.

Voss: Soll, soll ...., der Neuhold soll übrigens ein Despot sein.

Blohm: Dann hätten wieder mal ethische und ästhetische Konstitution wenig mit einander zu tun. Das Orchester war nämlich absolut genial.

Voss: Woher wollen ausgerechnet Sie das wissen?

Blohm: Meine Tante düdelte die Cavalleria rauf und runter – aus dem Klavierauszug. Und es war Kitsch. Neuhold aber verkneift sich jedes Jaulen und Schluchzen. Ruhig und vorsichtig zieht erdie Bögen. Wo hohles Sentiment war, wird zart hingegossenes Gefühl...

Voss: Blohm!

Blohm: Doch manchmal kippt die Musik um ins Aktivistische. Das ist dann aber nicht dämlich zünftig, sondern aggressiv, Punk.

Voss: Blohm!

Blohm: Da kann der Chor nicht mit. Der singt sehr schön, aber eben nicht mehr.

Voss: Blohm, Sie vergessen sich. Ich geh aufs Klo.

Nach der Pause, während Leoncavallos „Bajazzo“

Voss: Schauen Sie mal. Hier können wir uns selber beim Gucken zugucken. Schön gemacht. Die echten Zuschauer sitzen den erfundenen Zuschauern direkt gegenüber. Könnte man fast als Beleidigung auffassen; als ob wir Echten genauso einfaltspinselig unsere Gaudi suchen.

Blohm: Was ist echt?

Voss: Blohm, nicht schon wieder!

Blohm: Aber darum geht es hier.

Voss, ablenkend: Haben Sie bemerkt, während Nedda von Vögeln singt, die frei wie Pfeile durch die Luft schießen, windet sich Tonio wie ein ekliger Erdenwurm. Hier ist Liebe noch mieser und niederträchtiger als im ersten Teil.

Blohm: Die Musik dafür noch süßer und üppiger.

Voss: Tödlich ist die Liebe aber hier wie dort. Verlassene mutieren zu Schlächtern.

Blohm: Herr Voss, ich werde Sie niemals verlassen! Gehen wir ein brüderliche Bier trinken...

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