Sophies Welten sind multiple Phantasmagorien

■ ... und Ich sind immer viele: Minimalistisches Theater um die (Un-)Möglichkeiten des Selbst — im Stükke-Theater wurde Christine Sohns Monolog „Ätna“ uraufgeführt. Mit Eva Mannschott

Eine Frau spricht zu einem Baseballschläger. Sie hat ihm ein Babykäppchen übergestülpt und das bemützte Gerät auf den Namen Heinz getauft. Heinz, so stellt sich heraus, ist eigentlich ihr toter Sohn, der einer höchst zeitgemäßen Kumpelwette zum Opfer gefallen ist: Sohn und Freundeskreis haben getestet, wer wohl in der Lage sein würde, den anderen umzubringen. Heinz selbst hat's getroffen, und Mutti behauptet nun, am Vierten im Bunde Rache geübt zu haben, weil der nämlich tatenlos zugeschaut hat. „Wer zusieht, macht das Böse erst wirklich“, meint sie versonnen.

Auf der Bühne des Stükke- Theaters scheint sich die Aufführung einer jener Episoden anzubahnen, die „das Leben so schreibt“ und die Medienlektüre so spannend wie grauenerregend macht: Ein Frauenmonolog der Kategorie Sozialdrama meets Psychokitsch. Doch wie so oft trügt der Schein auch hier. In Christine Sohns Frauenmonolog-Drama „Ätna“, das Peter Lüder im Stükke-Theater zur Uraufführung brachte, geht es nur am Rande um gewalttätige Verstrickungen.

Tatsächlich verhandelt das Stück der Schauspielerin und Regisseurin vom Theater an der Ruhr die (Un-)Möglichkeit, aus der Enge des Ich zu fliehen. Der zu Tode geprügelte Sohn entpuppt sich als eine von vielen Phantasmagorien der Krankenschwester Sophie, die ihres „realen“ Selbst überdrüssig geworden ist. Sich und die anderen immer wieder neu erfinden — auf diese Weise erschafft Sophie einen Ereignis-Ersatz jenseits ihrer Existenz, die von Passivität und Einsamkeit bestimmt ist. Inspiration dazu liefern die Medien.

Doch aus dem Szenario der munteren Subjekt-Vielheit entwickelt sich ein dramatischer Konflikt. Was, um Himmels willen, ist denn nun noch „wirklich“? Kann man sich als multiple Persönlichkeit überhaupt aushalten? Die Fiktionen entgleiten ihrer Urheberin und schwappen unheilstiftend hinüber in Sophies konkrete Lebenswelt, wobei sich die Unübersichtlichkeit dieser Weltkonstruktionen in der kreuz und quer montierten Textvorlage widerspiegelt.

Der Berliner Regisseur Peter Lüder stellt das komplexe Textungetüm auf der Bühne sozusagen frei. Im fast leeren Raum entsagt er allen Möglichkeiten der Illustration und vertraut ganz seiner Schauspielerin Eva Mannschott. Kein Bildschirm, keine Videokamera, kein Diaprojektor — das Lieblingsinstrumentarium einer Regie, die theoriekonform Postmodernes inszenieren möchte, fällt bei Lüders einer konsequent asketischen Theaterauffassung zum Opfer. Szenischer Minimalismus. Allerdings mit dem Risiko, das Publikum zu überfordern.

Dabei bewältigt Eva Mannschott den Part der Sophie(n) zweifellos. Bravourös durchläuft sie die verschiedenen Stadien der kommunizierenden Ichs. Und dennoch schlägt der Versuch fehl, die Bühne neunzig Minuten lang nur mit Text zu füllen. Spannungspausen und Ansätze einer Körperchoreographie wirken vor allem in der zweiten Hälfte hilflos, die aus der monologischen Dichte resultierende Intimität verbraucht sich in ihrer Sinnlichkeit zu rasch.

Letztlich bleibt Sohns Text ein zu verkopftes Projekt. Da hilft dann auch das abschließende Märchen vom Vielfraß nichts, der der Welt durch Körperfülle näher zu kommen hofft. Das Glück, so will es die Fabel, entsteht jedoch erst im Aufgefressenwerden, in der Auflösung des Kadavers in der Nahrungskette.

Alles fließt. Ein klassisch versöhnender, gleichwohl nihilistischer Schluß, der nur rezitiert, nicht gespielt werden kann. Das Problem der theatralen Umsetzung philosophierender Texte bleibt damit ebenso ungelöst wie das Dilemma des Subjekts. Eva Behrendt

Bis 12.7., D.–Sa. (außer 21.6., 12.7.), 21 Uhr, Stükke für die Großstadt, Hasenheide 54