Hip und frisch wie Salzstangen

■ Mit "Prinz"-Touch: Seit Juni gibt es "Kultur!News", das Lifestylemagazin für Mitnehmer, auch in der Hauptstadt

Jeder kennt das. Man geht beim abendlichen Kneipenbesuch aufs Klo, bleibt irgendwie an diesem Gestell hängen, in dem häßliche Postkarten, wabblige Hochglanzbroschüren und ein paar Zeitschriften stecken, und greift zu. Kostet schließlich nichts. Und weil man als aufgeklärter Mensch natürlich keine Handtasche hat, stört das ganze Papier auf dem Kneipentisch, nervt auch beim Gang in die nächste Kneipe und landet zu Hause zerknittert und befettfleckt auf einen Küchenstuhl. Da bleibt es so lange, bis sich einer erbarmt und mal wieder das Altpapier in Angriff nimmt. Aber dieser zur zweiten Natur gewordene Kreislauf, der den guten Öko auf die Palme bringen muß, ist nicht das einzige Argument, das gegen eine neue Zeitschrift für Mitnehmer spricht.

Kultur!News machen es trotzdem. Als vor Jahren in der putzigen Unistadt Marburg die erste Nummer erschien, sorgte das für Aufruhr. Das alteingesessene Stadtmagazin Express fühlte sich bedroht – zu Recht. Die Kultur!News-Chefredakteurin Jutta Rossellit, stadtbekannt auch durch ihre begeisterten Seminare über Zeitgeist-Zeitschriften, dachte sich ihr Magazin mit dem Touch von Max,Tempo und vor allem Prinz. Dank exzessiver Anzeigenpolitik gab es das Stadtmagazin denn bald auch in Gießen und Ingolstadt. 1994 beschloß die Redaktion, weltstädtisch zu werden, gründete einen neuen Verlag und zog nach Hamburg. Inzwischen gibt es Kultur!News, das Magazin für „Lifestyle“, in einer Auflage von fast 200.000 außerdem in Hannover, Frankfurt am Main, Stuttgart, München, Köln und ab sofort mit 30.000 Startauflage auch in Berlin. Für umsonst und meist in „ausgewählter Szenegastronomie“.

In ihren schwungvoll unterschriebenen „Editorials“ widmet sich Jutta Rossellit wie eh und je zeitgemäßen Betrachtungen über die kleinen Dinge des Alltags, die das Leben schöner machen. So locker-flockig wie „Always Ultra“ oder „Du darfst“, spricht Kultur!News vor allem nicht ganz alte, aber auch nicht mehr ganz junge kulturinteressierte Büromenschen mit Abitur an, die „das Leben genießen“, immer wieder gern „was Neues ausprobieren“ und sich im Habitus kaum von sogenannten Akademikern unterscheiden. Sie haben Geld für Freizeittotschläger wie Bücher, CDs, Kino und Theater. Die Kultur!News sind also vor allem Wegweiser im Konsumdschungel und Dienstleister. Sie sind hip, spritzig und frisch, aber übersichtlich gestylt. Die Texte dagegen: so altbacken wie Salzstangen. Und während andere Mitnehmzeitschriften wie 030 und Siegessäule auf bestimmte Zielgruppen ausgerichtet sind, dürfen sich Leser der Kultur!News für alles interessieren.

Da gibt es schmalbrüstige Artikel über Bands, die sowieso gerade die Titel aller Musikzeitschriften schmücken. Die in der Berliner Juni-Ausgabe besprochenen CDs sind vor allem immer wieder „atemberaubend“, „beachtlich“, es ist von „Klaviervirtuosen“ die Rede und von „dynamischen Duos“, deren „ungewöhnliche Songstrukturen“ entschuldigend als „beabsichtigt“ dargestellt werden. Die besprochenen Bücher hingegen sind allesamt „spannend“, „vielschichtig“, „wirklich überraschend“, „brillant“ oder „solide gestrickt“. Im Zweifelsfall werden die Gedanken eines Protagonisten gern auch als „in verschiedene Richtungen“ fließend beschrieben: „Aus vielen Bruchstücken wird ein einzigartiges Gesamtbild komponiert.“

Für die Berliner Stadtmagazine stellen die nur monatlich erscheinenden Kultur!News keine Bedrohung dar. In einem herausnehmbaren Mittelteil mit dem Namen „City.mag“ findet nur ein Bruchteil der Veranstaltungen in der Stadt Platz, und Partytermine zum Tanzen fehlen auch. Die ganz jungen Freizeitgestalter werden also nach wie vor lieber zu 030 greifen, und die etwas älteren sind betucht genug, um sich weiterhin zitty oder tip leisten zu können. Susanne Messmer