ICE-Warnsystem erfaßt keine Radbrüche

■ Sie werden überprüft wie kein anderer Zug. Sie haben ein Diagnosesystem für leere Speisewassertanks, überfüllte Toiletten und Klimaanlagen. Einen Radbruch oder eine Entgleisung können die Warnsysteme

Berlin (taz) – Die ICE sind die am häufigsten überprüften Züge in Deutschland. Etwa 1.500 Kilometer am Tag sind sie unterwegs, alle 3.500 Kilometer steht eine Kontrolle in München, Hamburg-Eidelstedt oder in Berlin-Rummelsburg auf dem Programm. Damit die Züge schnell wieder Passagiere transportieren können, hat die Bahn ein ausgeklügeltes System entwickelt: Der kleine Boxenstop dauert nur etwa eine Stunde.

Während bei den Rädern von Güterwaggons auch heute gelegentlich noch per Klang geprüft wird – ähnlich wie Teller in einer Porzellanabteilung –, gibt es für die Hochgeschwindigkeitszüge aufwendige Meßsysteme. Vor allem der Radkranz, der direkt über die Schiene läuft und dadurch mit der Zeit abnutzt, wird bei jedem Check sowohl mit Ultraschall als auch an der Oberfläche mit Wirbelstrom überprüft. Es geht darum, auch kleine Risse zu entdecken. Denn ist erst einmal ein Riß entstanden, setzt sich bei Beanspruchung des Materials der Schaden nach und nach fort, und es kann zum Bruch des Materials kommen. Solcherlei Materialermüdung ist nicht zu vermeiden, da es in jedem Werkstoff Fehlstellen gibt. Entscheidend ist, sie rechtzeitig zu entdecken. Wenn die rechnergesteuerte Diagnoseanlage bemerkt, daß der Raddurchmesser verändert ist oder etwas anderes nicht mehr exakt stimmt, werden die Räder ausgetauscht.

Beim ICE-Unfall am Dienstag ist der Riß möglicherweise erst auf der Reise aufgetreten. Wenn darin tatsächlich die Ursache für den Unfall liegen sollte, könne es sich nur um einen „Gewaltbruch“ handeln, ist sich Fritz Frederich, Professor am Institut für Schienenfahrzeuge in Aachen, sicher. Die regelmäßige Prüfung der Bahn sei „sorgfältig, gründlich und hinreichend“. Sollte der Riß tatsächlich auf der Fahrt aufgetreten sein, gab es keine Chance, das festzustellen. Denn die ICE-Züge verfügen über keine Warnanzeigen für Radbruch und Entgleisung. Jens Böhlke, Leiter Fahrweg und Betrieb beim Eisenbahnbundesamt, erklärte gestern, nach seinem Kenntnisstand würden vom Diagnosesystem „Schwingungen“ nicht erfaßt, sondern „thermische Dinge“, wie etwa die Überlastung von Aggregaten.

Der regelmäßige Wechsel der 1,8 Tonnen schweren Radsätze dauert gerade einmal eine halbe Stunde. Derweil kontrollieren andere Techniker die Stromabnehmer, und in den Zügen wird geputzt, und die Kühlschränke werden mit Würsten und Milchtüten aufgefüllt.

Damit alles so schnell gehen kann, übermittelt die Zentraleinheit für Überwachung und Steuerung – kurz Zeus genannt – Daten über den Zustand der einzelnen Wagen schon lange vor Ankunft bei der Betriebsstelle an David – den Diagnose-Aufrüst- und Vorbereitungsdienst mit integrierter Displaysteuerung. David ist in den beiden Triebwagen am Anfang und Ende des Zuges untergebracht, während sich Zeus hinter der Landkarte am Eingang jedes Wagens versteckt. Die Informationen werden schon vorm Eintreffen an die Wartungshalle weitergegeben, so daß die Mechaniker entsprechende Ersatzteile bereitlegen können. Zusätzlich zu den kleinen Inspektionen läßt die Bahn sämtliche ICE auch in aufwendigeren Tests überprüfen, die nach 20.000, 60.000, 1.200.000 und 2.400.000 Kilometern anstehen. Anne Barthel