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Chamique aus Electricland

Das größte weibliche Basketballtalent der USA, die dreifache College-Meisterin Chamique Holdsclaw, überzeugt auch bei der Weltmeisterschaft in Deutschland  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Wann immer das Team der US- Frauen bei der Basketball-WM in Deutschland Probleme bekam, griff Trainerin Nell Fortner zu einem bewährten Mittel: Chamique Holdsclaw. Die 20jährige ist die jüngste Spielerin im Kader des Olympiasiegers und die einzige, die keinen Profi-Basketball spielt, sondern noch aufs College geht. Dennoch ist sie nicht selten die Matchwinnerin für die USA. Beim Viertelfinalsieg gegen die Slowakei stellte sie mit ihren 20 Punkten mühelos berühmte Kolleginnen wie Lisa Leslie oder Nikki McCray in den Schatten, am Samstag im Halbfinale gegen Brasilien war es vor allem ihre Defense, die dazu beitrug, daß die USA das gestrige Finale gegen Rußland (nach Redaktionsschluß) erreichten. Zwar brachte es ihre Gegenspielerin, die WNBA-erfahrene Janeth, auf 24 Punkte, die meisten holte sie aber, wenn Holdsclaw auf der Bank saß. Ansonsten mußte sie sich jeden Zähler hart erkämpfen und war in der Schlußphase ebenso müde wie Brasiliens Star „Magic“ Paula, deren 25 Punkte die 79:93-Niederlage auch nicht verhindern konnten.

Wie schon bei Olympia in Atlanta war es die stark besetzte Ersatzbank, die bei dieser WM am Ende meist den Ausschlag zugunsten der USA gab. „Unsere Tiefe ist der Schlüssel“, weiß Olympiasiegerin Ruthie Bolton nur zu gut. „Wir können nicht viel wechseln, sonst werden wir schlechter“, sagte dagegen Antonio Barbosa, der Coach der furios gestarteten, am Ende aber vollkommen ausgepumpten Brasilianerinnen nach dem Match. Während seine vier besten Akteurinnen Janeth, Paula, Alessandra und Leila praktisch durchspielten, konnte es sich Nell Fortner leisten, reihenweise Stars der Profiligen WNBA und ABL einzuwechseln: Ruthie Bolton, Jennifer Azzi, Kara Wolters und eben College-Crack Chamique Holdsclaw, deren fließender und kraftvoller Bewegungsablauf nicht zufällig an Kobe Bryant von den Los Angeles Lakers erinnert. Beide haben dasselbe Vorbild.

Als das Team von Lousiana Tech am 30. März im College-Finale gegen die „Lady Vols“ aus Tennessee anzutreten hatte, rief Coach Leon Barmore vorher in Florida bei Scotty Robertson an, dem Assistenten von Pat Riley beim NBA-Team Miami Heat. Die Frage, die er auf dem Herzen hatte, war ein wenig ungewöhnlich für den Trainer eines Teams von Studentinnen: „Wie verteidigt ihr gegen Michael Jordan?“. Für Barmore machte die Erkundigung jedoch Sinn, schließlich suchte er Wege, die beste College-Spielerin der letzten Jahre zu stoppen: Chamique Holdsclaw, die in der US- Presse schon den Beinamen „Her Airness“ bekam und für den Louisiana-Coach „ganz gewiß den Michael-Jordan-Spielertyp in unserem Collegespiel“ darstellt. In Tennessee trägt sie sogar die berühmte Nummer 23, angeblich aber nicht wegen des großen Kollegen, sondern in Anlehnung an den 23. Psalm: „Herr, sei mein Hirte“.

Die Tips des Kollegen aus Miami halfen Barmore nicht viel: Holdsclaw, die über große Sprungkraft, Schnelligkeit und einen exzellenten Sprungwurf verfügt, steuerte gegen Louisiana 25 Punkte und 10 Rebounds zum Sieg der Lady Vols bei, die sie zuvor zu einer 39:0-Serie in der NCAA geführt hatte. Das Wort Niederlage ist der Studentin der politischen Wissenschaften ohnehin ziemlich fremd, in vier Jahren High School und drei Jahren College gewann sie jedes Mal den Titel. Die vierte Meisterschaft der Lady Vols, die ihre Gegnerinnen im Schnitt um 30 Punkte distanzierten, gilt eigentlich nur noch als Formsache, da die meisten Spielerinnen bis 1999 in Tennessee bleiben werden.

Aufgewachsen ist die 1,89 Meter große Chamique Holdsclaw im übel beleumundeten New Yorker Stadtteil Astoria. „Ich kann sagen , daß ich alles gesehen habe“, erklärt sie, „Leute, die vor dem Apollo Drogen nahmen, wie Leute beraubt wurden, Menschen, die von der Polizei gejagt wurden.“ Ihre Großmutter June, so heißt es, habe sie davor bewahrt, auf die schiefe Bahn zu geraten, und als ihre Hauptmotivation nennt Chamique „die Opfer, die ich in meinem Leben gebracht habe, um nicht ein Produkt meiner Umgebung zu werden“. Auch der drastische Wechsel vom brodelnden New York, das sie als „Electricland“ bezeichnet, ins beschauliche Knoxville, Tennessee, sei segensreich gewesen. „Niemals hätte ich in New York aufs College gehen können. Ich wäre nicht fähig gewesen, mich auf irgendwas zu konzentrieren.“

Im US-Team spielte sie erstmals im letzten Sommer mit und wurde bei der WM-Qualifikation mit durchschnittlich 19 Punkten und 6,2 Rebounds auf Anhieb beste Spielerin ihres Teams in beiden Kategorien. Den Auftritt bei der WM, wo sie es mit besseren und vor allem größeren Kontrahentinnen zu tun bekam als normalerweise, genoß Chamique Holdsclaw in vollen Zügen. „Ich kann nicht oft mit solch großartigen Leuten zusammenspielen“, sagt sie und strahlte nach ihrem starken Auftritt gegen die Slowakei: „Es macht unheimlichen Spaß.“ Möglicherweise ist die – wie Vorbild Michael Jordan – eigentlich eher schüchterne New Yorkerin auch froh, daß im US-Team nicht jene dominierende Rolle von ihr erwartet wird wie auf dem College. Dort sei sie anfangs so still gewesen, daß die Mitspielerinnen ihr zuriefen: „Schlaf nicht ein, wir brauchen dich!“ Inzwischen habe sie die Rolle als Chefin der Lady Vols aber akzeptiert.

Diesen Part wird Holdsclaw auch im kommenden Jahr noch spielen, denn sie widerstand den Verlockungen der Profiklubs und will ihren College-Abschluß machen. „Als bessere Spielerin wiederkommen, noch eine Meisterschaft gewinnen und mit Stil Abschied nehmen“, hat sie sich für ihr letztes Studienjahr vorgenommen, und auch über berufliche Perspektiven ist sie sich längst im klaren. Sie würde, man staune, am liebsten für das FBI arbeiten. Zuvor allerdings erwartet sie eine große Karriere als Basketballspielerin. Denn wie sagt Kristen Clement von den Lady Vols: „Sie ist die Beste der Besten.“

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