■ Nachschlag: Wie im Aquarium – Tori Amos in der Columbiahalle
Seit Wochen schon prangt eine mit ausgebreiteten Armen und lasziv lockerer Bluse totengleich ausgestreckte Tori Amos von den diversen Plakatsäulen der Stadt. Noch einen Tick morbider das Cover des neuen Albums: Ihr Körper als hübsch aufgequollene Wasserleiche klebt da an der CD-Plastikhülle wie an der Glaswand eines Aquariums. Igitt! Heimlich Suizidlüste? Eher ist wohl wieder der andere Tod gemeint: der Sprung ins Wasser, das erotische Element, als metaphorischer Ausflug in Toris Welt. Indem sie Nick Caves Tod am See – dort wo die wilden Rosen wachsen – eine weibliche Variante entgegensetzt, hat Tori Amos dessen Gefährtin Kylie Minogue zweifellos den Rang als attraktivste Wasserleiche der Musikgeschichte streitig gemacht.
Nicht zufällig wirkt Tori Amos' Tauchgang wie eine Antwort auf Nick Caves sexuelle Mordphantasie. Denn im gleichen Maße, in dem der düstere Nick Cave postpubertären Jungs ein grüblerisches Identifikationsmodell bietet, macht Tori Amos Mädchenmusik – Mädchenmusik für die Phase nach den Pferdepostern wohlgemerkt. So war es wenig überraschend, daß am Montag abend besonders viele Mädchen die Columbiahalle füllten, die in ihren Spaghettiträger-Shirts und blassen Nasen haargenau so aussahen, als seien sie Toris Töchter. Und spätestens ab „Cornflake Girl“, dem dritten Song, wogten Toris verschwitzte Töchter dann auch auf den seitlichen Balustraden glücklich im Takt, und das bis zum viel zu frühen A-cappella-Schluß (ein gälisches Spiritual?).
Obschon Tori Amos mit ihrem neuen Werk vom „Choirgirl hotel“ ihr vielleicht schwächstes Album bisher abgeliefert hat, sind die Zeiten längst passé, in denen Kirchen oder kleine Clubs ausreichten für ihre Auftritte. Ein Aufstieg vom Geheimtip zum Stadionstar trotz statischen Instrumentariums: So ein Klavier läßt sich schließlich schwer wuchten, da bleibt eigentlich wenig Spielraum für eine ausschweifende Bühnenshow. Alles konzentriert sich daher auf die ausladenden Bewegungen des rötlichen Haarbüschels am schwarzen Flügel, das zwar allenfalls zwischen Keyboards und Klavier hin und her turnt, dabei aber trotzdem nie den Kontakt zum Publikum abreißen läßt.
Höhepunkte? Eigentlich wenige. Aber Tori Amos' expressiv ausgelebte Katharsis am Klavier ist, auch in eher routinierter Darbietung, immer ein Erlebnis. Daniel Bax
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