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Volle Ausstellungen – leerer Geldbeutel

■ Chris Steinbrechers Galerie steht vor dem Aus / Potentielle Kunden geben ihr Geld heute anders aus

Bremen hat sich von den wirtschaftlichen Krisen überhaupt noch nicht erholt. Dieses kritische Urteil spricht der Galerist Chris Steinbrecher über seine Wahlheimatstadt. Doch der strenge Richter hat auch persönliche Gründe: Die Umsätze seiner Galerie sind seit Monaten so niedrig, daß Steinbrecher wahrscheinlich aufgeben wird. Seit 1996 betreibt der 54jährige Am Dobben seine Galerie mit erstklassigem Ruf. Auf Bitten von Bürgermeister Henning Scherf (SPD) war er damals aus Potsdam zurückgekehrt, wo er über Jahre erfolglos versucht hatte, u.a. eine neue Galerie aufzubauen. Schon vor diesem Intermezzo hatte der gebürtige Hallenser und seit 1973 in Bremen lebende Steinbrecher eine gut gehende Galerie Am Dobben. Mit der taz sprach Steinbrecher über die Gründe für die momentane Krise, die alles andere als nur persönlich ist.

taz: Herr Steinbrecher, wie sieht die ökonomische Situation Ihrer Galerie momentan aus?

Chris Steinbrecher, Galerist: Das letzte Bild habe ich vor sechs Monaten verkauft. Ich muß monatlich, Nebenkosten nicht eingerechnet, 2.500 Mark Miete bezahlen, so daß ich im Augenblick von 400 Mark im Monat leben muß.

Ist das das Resultat einer Entwicklung der letzten Monate?

Nein. Seit meiner Rückkehr aus Potsdam 1996 sind die Umsätze der Galerie so, daß ich permanent unter dem Existenzminimum lebe.

Wie erklären Sie sich das?

Die Gründe sind vielfältig. Zum einen gibt es in Bremen, verstärkt in den letzten Jahren, unverkennbar geradezu eine kulturelle Depression. Die Menschen hier haben das Gefühl, daß Bremen im Zuge des Werftenniedergangs eine sterbende Stadt ist und daß auch die kulturellen Angebote quasi zweitrangig sind. Zum anderen mag es sein, daß ich bei meiner Rückkehr nach Bremen die Situation falsch eingeschätzt und sowohl einen falschen Standort für die Galerie gewählt habe als auch mich nicht den neuen Tendenzen der Zeit richtig angepaßt habe. Und diese Tendenzen entfernen sich maßgeblich von der Galeriearbeit und entwickeln sich viel stärker in Richtung Kunsthandel. Zudem wird Kunst heute im Unterschied zu früher nicht exklusiv in Galerien, sondern an allen möglichen Orten angeboten. Selbst eine öffentliche Kultureinrichtung wie die Gesellschaft für aktuelle Kunst macht Kunstauktionen. Das wirkt sich negativ auf das Galeriegeschäft aus, weil sich Kunden lieber an diesen vermeintlich billigeren Anbietern orientieren.

Wer sind denn die potentiellen Kunden einer Galerie?

Gehobene Mittelschicht – vorwiegend Angestellte. Manchmal auch wohlhabendere Rentner, die ihren Lebensabend mit experimenteller Kunst verschönern wollen.

Ist es denn so, daß diese Gruppen infolge der Wirtschaftskrise weniger Geld ausgeben können?

Nein, eher im Gegenteil. Die potentiellen Kunstkäufer haben zum Teil sogar mehr Geld als früher, geben es aber anders aus: Ausgedehnte Urlaubsreisen, schnellebigere Luxusgüter. Das „Risiko“ eines Kunstkaufes wird eher gemieden.

Trifft Ihre Beschreibung nur für Bremen zu?

Das sind bundesweite Tendenzen, die aber in Bremen sehr zum Tragen kommen, weil sich die Stadt von den jüngsten Krisen wirtschaftlich zwar ein wenig, emotional aber noch nicht erholt hat. Und das Galeriegeschäft ist eines, das sehr stark von Emotionen und Stimmungen abhängig ist. In Bremen existiert zur Zeit eine mentale Blockade, sich in das kulturelle Getümmel der Stadt zu stürzen. Zudem haben die Streichungen der öffentlichen Hand und die Debatten um McKinsey dazu geführt, daß Bremen in den Ruf eines kulturellen Un-Standorts gekommen ist. Bremen müßte, damit die Stimmung sich ändert, endlich etwas groß- und nicht kleingeredet werden, wie das hier immer geschieht.

Ihre Krise gründet also nicht in ökonomischen, sondern in psychologischen Ursachen auf Seiten der potentiellen Käufer?

Ja, absolut. Diese Leute sind abgesichert wie zuvor. Das Geld ist da, wird aber nicht mehr im gleichen Maße wie vor Jahren für bildende Kunst ausgegeben.

Also eine Krise der bildenden Kunst?

Auch, aber nicht nur. Die Kunstinteressierten ziehen sich ja auch aus anderen Bereichen wie der Oper oder der Musik zurück. Es gibt eine unverkennbare Tendenz dazu, von den Medien gepuschte Veranstaltungen zu besuchen, was auf Kosten der kleineren Kunstangebote geht. Da nimmt es extrem ab. Das trifft nicht nur mich, sondern alle Galeristen gleichermaßen. Daß sich andere Galerien über Wasser halten können, liegt nicht an ihren höheren Umsätzen, sondern daran, daß sie entweder von Dritten finanziert oder durch eine galeriefremde Tätigkeit mitgetragen werden. In Bremen gibt es allenfalls zwei Galeristen, die durch ihre Galerietätigkeit über die Räume hinaus auch ihr Leben finanzieren können.

In Potsdam gescheitert, in Bremen vor dem Aus: Sind Sie ein schlechter Geschäftsmann?

Vermutlich denken das viele Leute, die die Sache von außen betrachten. Aber ich bin weder in Potsdam noch in Bremen an ökonomischen Fehlkalkulationen gescheitert. Die Gründe für die momentane Situation habe ich ja eben erläutert. Für Potsdam sind vor allem die mangelhafte Erfüllung von festen Zusagen und Verträgen seitens der Stadtpolitiker verantwortlich gewesen.

Wie schätzen Sie Ihre Möglichkeiten ein, sich durch ein verändertes Galeriekonzept neue Kundenkreise zu erschließen?

Das habe ich ja mit den letzten Ausstellungen versucht. Es ist aber egal, was ich anbiete – Baselitz, sensationelle Konzepte wie „Bilder einer Ausstellung“ oder Graffitikunst, die sich über 2.000 junge Leute angesehen haben – die Besucher kaufen nichts. Während des letzten offenen Galeriewochenendes hatten die beteiligten Galerien einen Besucherrückgang von mehr als 60 Prozent. Das ist die Realität.

War Ihr Konzept zu unflexibel, zu sehr orientiert am klassischen Verständnis einer Galerie?

Vielleicht war es zu starr. Wobei das nicht den Ausschlag gegeben hat. Meine Galerie hat einen erstklassigen Ruf, ist nicht von ungefähr in Künstlerkreisen außerordentlich geschätzt. Viele hervorragende Künstler möchten bei mir ausstellen, weil sie wissen, daß sie gut betreut werden und die Galerie in Fachkreisen anerkannt ist. Vom guten Ruf allein kann ich aber nicht leben.

Welche Optionen stehen Ihnen noch offen?

Mein Vorteil ist, daß ich ein umfangreiches Wissen über Kunst habe. Ich bin Kunsthistoriker, schreibe Bücher, arbeite als Gutachter für alte Kunst. Diesen Bereich werde ich in den nächsten Monaten intensivieren müssen. Das wird in Richtung Kunsthandel gehen, hat aber nichts mehr mit Galeriearbeit zu tun. Das ist für mich schon sehr schmerzhaft, denn ich bin Galerist mit Leib und Seele.

War die Rückkehr nach Bremen falsch?

Von der Chronologie her betrachtet war die Entscheidung falsch, von der Emotion hingegen nicht. Denn ich mag diese Stadt trotz allem, was hier schief läuft.

An der Schließung führt kein Weg vorbei?

Wahrscheinlich nicht. Das entscheiden die nächsten Tage.

Sie haben sich in den letzten Monaten sehr für den Geigenschüler Vasile D. eingesetzt, der im sogenannten Stradivariprozeß wegen Beihilfe zum Raub angeklagt war und kürzlich freigesprochen worden ist. Hat Ihnen dieses Engagement als Galerist geschadet?

Ja. Bestimmte Menschen haben mich in letzter Zeit geschnitten, einige haben mich angerufen und gesagt, sie kämen nicht zu einem, der sich für einen „Mörder“ einsetzt. Das ist nicht schöngeistig genug.

Fragen: zott

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