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„Aber die hat doch nur....“

■ Lübeckerinnen im Widerstand: Eine Dokumentation porträtiert Frauenschicksale zwischen 1933 und 1945 Von Heinz-Günter Hollein

Ina Schmidt hat ihre Familie erweitert. Die Sprache der 31jährigen Lübeckerin wechselt von der wissenschaftlich-publizistischen Abgewogenheit der HWP-Studentin in privates Wiedererkennen, wenn sie den Frauenporträts auf dem Titelblatt ihrer soeben erschienenen Broschüre Namen und Ereignisse zuordnet. „Widerstand – Protest – Verweigerung“: In zweijähriger Recherche hat Ina Schmidt dem Altstadtidyll an der Trave ein Mosaik aus 20 Frauenschicksalen zwischen 1933 und 1945 hinzugefügt.

Als Spur des offiziellen Widerstands zieht sich allein die Julius-Leber-Straße durch Lübecks Innenstadt, die Willy-Brandt-Allee biegt vor dem Holstentor pietätvoll ab – nach links. Sie führt durch großzügige Park-and-Ride-Flächen auf einen Schuppen des Wallhafens zu, auf dessen Plakatwand „Zeit für Zivilcourage“ gefordert wird. Gemeint ist hier allerdings die in diesem Sommer 1995 offenbar eher zögerliche Bereitschaft der LübeckerInnen zum Blutspenden, darum wohl die aufklärerische Ergänzung aus der Dose eines anonymen Sprayers an der gegenüberliegenden, halbüberwachsenen Ziegelwand: „Zerschlagt die Nazibanden!“

Zwei Jahre lang, zwischen 1939 und 1941, legen hier auf der Wallhalbinsel zwei jüdische Bürgerinnen Lübecks Lebensmittelverstecke für Zwangsarbeiterinnen und andere Verfolgte an, dann werden Rebecka und Sarah Beutel „von Amts wegen nach unbekannt evakuiert“.

Ina Schmidt beginnt ihre Suche nach solchen verlorenen Lebensspuren im Sommer 1993, befragt geduldig noch lebende männliche Zeitzeugen und erhält die bündige Antwort: „Frauen im Widerstand? In Lübeck? Wüßt' ich nicht.“ Die gelernte Erzieherin hört hinter den männlichen Selbstdarstellungen bald heraus, daß „Widerstand“ offenbar mit männlicher Planung und Organisation gleichgesetzt wird. Fällt im Gespräch doch einmal der Name einer Frau, heißt es oft einfach: „Aber die hat doch nur ...“

Ina Schmidt sammelt die „entfallenen“ Namen, fügt Erinnerungssplitter zusammen, beschreibt „Widerstand“ – abseits von Definitionsvarianten der historischen Forschung. Etwa über Hanna G.: „Ihre Schwestern richteten wiederholt an sie die Warnung, das Verteilen von Flugblättern einzustellen. Auch Otto G., ihr Mann, war dagegen und hatte Angst aufzufallen.“ Weil Hanna G. „nur wenig von ihrer Widerstandstätigkeit erzählte und auch kaum danach gefragt wurde, blieben ihrer Familie nur noch Bruchstücke hierüber in Erinnerung.“

Auf einen Zeitungsaufruf in den Lübecker Nachrichten melden sich jedoch zahlreiche weitere InformantInnen und ZeitzeugInnen, die „davon eigentlich schon immer mal erzählen wollten“. Der Aktenordner auf Ina Schmidts Schreibtisch füllt sich mit Gesprächsprotokollen, aber immer häufiger wird am Ende eines Gesprächs der Wunsch geäußert, doch bitte nicht den vollen Namen zu verwenden. Lübeck ist mittlerweile als ein Schauplatz des rechten Terrors in den Schlagzeilen.

Ein Schauplatz des Terrors durch Recht ist im ersten Stock des Museums im Burgkloster konserviert. Hier, im ehemaligen Schwurgerichtssaal, umgeben von kirchenstuhldunkler Holztäfelung, wird 1936 über „die Ehefrau Minna Klann“ gerichtet. Acht Jahre Zuchthaus wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“. Minna Klann, die Genossin und Kampfgefährtin Willy Brandts, stirbt nach schweren Folterungen 1941 in der Haft an Tuberkulose. Zwei Jahre später fallen an gleicher Stelle die Todesurteile im Prozeß gegen vier Lübecker Geistliche.

Die U-Haftzellen neben dem Gerichtssaal stehen heute BesucherInnen offen. Wer angesichts von Abort, Pritsche und blankem Fußboden Blechnapfromantik wittert, versuche sich 18 Monate in dieser Umgebung vorzustellen. Und was es bedeutet, wenn die Haushälterin der Herz-Jesu-Gemeinde, Johanna Rechtien, Meßwein und Hostien im Wäschepaket in diese Zellen schmuggelt.

Um die Erinnerung an Frauen wie Minna Klann und Johanna Rechtien geht es den HerausgeberInnen von Ina Schmidts Recherchen, dem Frauenprojekt Aranat. Über eine Beteiligung der Stadt an einer zweiten Auflage wird Lübecks „runder Tisch“ entscheiden, aber erst, wenn Bürgermeister und Kultursenator aus dem Sommerurlaub zurück sind.

Für Ina Schmidt bleibt die Konfrontation mit so vielen verschütteten fremden Erinnerungen manchmal bedrückend. „Wenn ich gewußt hätte, was da auf mich zukommt, hätte ich vielleicht gar nicht angefangen“, meint sie, immer noch ein bißchen erstaunt, daß jetzt tatsächlich zwei Jahre Arbeit, auf 100 Seiten komprimiert, greifbar vor ihr auf dem Tisch liegen. Und statt in den themaüblichen gedeckten Tönen strahlt das Cover in erfrischendem Gelb-Grün. Denn „es sind ja nicht nur Geschichten von Leid und Unterdrückung, sondern auch von Kraft und Solidarität“, erläutert Ina Schmidt ihre Farbauswahl und schließt übergangslos an: „Und weil das meine Lieblingsfarben sind!“

Ina Schmidt: Widerstand – Protest – Verweigerung von Lübeckerinnen in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 – 1945, 104 S., 15 Mark Erhältlich über: Aranat, Mühlenbrücke 5a, 23552 Lübeck In Hamburg: Heinrich-Heine-Buchhandlung, Grindelallee 24-28; Der Frauenbuchladen, Bismarckstraße 98; Buchhandlung im Schanzenviertel, Schulterblatt 55; Schwarzmarkt, Kleiner Schäferkamp 46

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