: Ein Wackelkandidat
■ Hier sind Filme nichts anderes als Plastik in Dosen, und doch ist es wichtig: das Metropolis-Archiv in Hamburg-St. Georg / Eine Verteidigungsrede anläßlich eines möglichen Sparbeschlusses
Es hatte eine kleine, runde und möglicherweise gar hübsche Sache werden sollen. Es könnte ein vorgezogener Nachruf werden. Manche Geschichten setzen eben schon unter der Feder den Edelrost des Vergangenen an. Ein Satz, der sich ein wenig pathetisch anhören mag. Aber vielleicht ist etwas Pathos dem Gegenstand, um den es hier geht, gar nicht unangemessen. Eigentlich geht es nur um Filmkopien, wenn auch um viele, 3000 Stück an der Zahl. Doch dahinter geht es um Augenmaß und Leidenschaft und, jawohl!, um Liebe. Um die Liebe zum Kino, die die 3000 Filmkopien zusammengeführt hat. Und es geht darum, daß dieser Liebe nun ein trauriges Ende droht.
Am Mittwoch, dem 5. Juli, besuchte der Kinojournalist einen Keller in Hamburg-St. Georg. Nicht irgendeinen Keller, sondern die Räume, in denen die Kinemathek Hamburg e.V. ihre Filme lagert, das Archiv des Metropolis-Kinos also. Zwei Tage später, am 7. Juli, war derselbe Journalist in den Büroräumen in eben dem Metropolis zu Gast. Heiner Roß, Leiter und Motor des Archivs, erzählte ihm die Geschichte und die Hintergründe der Sammlung. Das Ganze eine Recherche für die gedachte erste Folge einer Sommer-Reportageserie über Hamburger Keller. Nichts Aufregendes.
Doch dann, am Mittwoch, dem 12. Juli, rief Heiner Roß bei dem Journalisten an: Er habe gerade gehört, daß ihm vom Beginn kommenden Jahres an die Zuschüsse der Kulturbehörde für das Archiv gestrichen werden sollen, dann könne er keine einzige neue Kopie mehr kaufen, unter anderem verhandele er gerade sehr aussichtsreich über eine 35-Millimeter-Kopie von Jacques Tourneurs Das Schiff der verlorenen Menschen mit Marlene Dietrich aus dem Jahre 1928, so eine Kopie gebe es in ganz Deutschland nicht, die Verhandlungen müsse er jetzt abbrechen, so werde der Sammlung ihr Lebensnerv durchschnitten, es gehe um 100.000 Mark.
Rückruf bei der Kulturbehörde. Deren Sprecher: Ja, das Archiv des Metropolis stehe tatsächlich zur Disposition, nein, entschieden sei allerdings noch nichts, das müsse man abwarten, ja, Heiner Roß habe am kommenden Mittwoch einen Termin bei der Kultursenatorin, nein, mehr könne er auch nicht sagen. Kurze Rückversicherung bei dem Kollegen in der Redaktion: Das Metropolis ist schon lange ein Wackelkandidat, seit Jahren werde in den Etatverhandlungen überlegt, Hamburgs Kommunalem Kino die Mittel zu kürzen. – Und so wird aus einer kleinen schriftlichen Sommerschlenderei das, was man journalistisch „ein Thema“ nennt.
Was ist aber so Besonderes an der Metropolis-Sammlung? Niedrige Decken, Betonfußboden, grob verputzte Wände. Die Räumlichkeiten unweit des Steindamm, in denen sie lagert, sind jedenfalls das Besondere nicht. In den Räumen billige Metallregale, in ihnen, säuberlich nebeneinander geschichtet, Filmdosen und Filmschachteln. Mit dem Augenschein ist die Bedeutung der Sammlung nicht zu erklären. Vom Film, vom Zauber des Kinos, sieht man hier nichts als: Plastik in Dosen.
Hätte man aber die Möglichkeiten des Films zur Verfügung, die Sammlung ließe sich ganz anders beschreiben. Zum Beispiel in Zeitraffer. Damit ließe sich zeigen, wie viele der Filmkopien jahrzehntelang in den Archiven kleiner Fernsehsender verstaubten, wie sie dann verscherbelt und verscheuert wurden, weil die Entwicklung von MAZ-Aufzeichnungstechniken die Kopien für Fernsehzwecke überflüssig machte, wie sie dann vor allem auf dem US-Sammlermarkt durch teilweise dubiose Kanäle gingen und wie Heiner Roß sie dann kaufte und in die Räume in St. Georg brachte.
Und mit Zeitraffer ließe sich das Hin und Her der Kopien innerhalb Deutschlands anschaulich machen. Denn die Filme werden weiß Gott nicht nur in Hamburg gezeigt. Sie wandern nach Berlin zum Arsenal-Kino, Studenten der FU Berlin vertiefen sich mit ihrer Hilfe in die Filmgeschichte, es gibt einen regen Austausch mit den anderen Sammlungen in der Bundesrepublik, die Arbeit vieler Kommunaler Kinos wäre ohne die Kopien aus Hamburg sehr viel schwieriger, aber auch die Matineen und Spätvorstellungen kommerzieller Kinos wären arg behindert. Das Schicksal so einer Filmkopie ist aufregender, als man denkt. Sie kommt ganz schön rum. Denn die Hamburger Sammlung ist eine Sammlung zum Gebrauch. Die Filme, die sie birgt, sind dafür da, in den Kinos gezeigt zu werden. Und sie werden gezeigt, in der gesamten Bundesrepublik.
Das ist das eine, weshalb die Sammlung so wichtig ist. Das zweite ließe sich ohne Probleme mit Hilfe moderner Animationstechniken demonstrieren. Nehmen wir an, die Figuren eines Films ließen sich durch Berühren der Filmdose zum Leben erwecken, in den Räumen in St. Georg würde in kürzester Zeit ein reges Durcheinander herrschen – von Figuren, die es teilweise auf der ganzen Welt nur noch einige wenige Male gibt.
Denn in St. Georg lagern nicht nur alle in Hamburg geförderten Filme. Dort gibt es etwa auch einen kurzen Streifen, auf dem Thomas Alvar Edison, der große Erfinder, zu Anfang des Jahrhunderts demonstrierte, wie man mit Strom einen Elefanten töten kann. Eine Unmenge deutscher Exilanten aus den 30er und 40er Jahren müßte man animieren, die Werke der von den Nazis Vertriebenen bildet einen Schwerpunkt der Sammlung. Marylin Monroe würde auf manch russische Schauspielerin und John Wayne vielfach auf sich selbst: Neben 21 King-Vidor-Filmen lagern auch 29 John Fords in dem Metropolis-Archiv.
Das ist der zweite Grund für die Bedeutung der Hamburger Sammlung: An eine Filmkopie zu gelangen ist schwieriger, als man es sich als Laie denkt. Denn nach Ende der Abspielzeit vernichten die Verleiher die meisten Kopien. Zudem ist Filmkunst eine verderbliche Ware: Filme zersetzen sich mit der Zeit. Wenn es nicht solche Einrichtungen wie die des Metropolis gibt, und die in Deutschland lassen sich an einer Hand abzählen, dann kann es sein, daß Filmwerke für alle Zeit verlorengehen.
Ausgehend von der Animations-Idee, überkommt den Journalisten ein Tagtraum: daß alle Filmfiguren, die, festgehalten auf Zelluloid, in den Kellerräumen der Kinemathek Hamburg e.V. lagern, lebendig werden und vor dem Hamburger Rathaus gegen ihre Abwicklung demonstrieren. Ein schönes Bild. Stars, Sternchen und Komparsen für einmal vereint. Der Rathausplatz wäre bestimmt zu klein. Wenn die Erzeugnisse menschlicher Phantasie und Schauspielkunst wählen könnten, das Metropolis-Archiv hätte nicht 100.000 Mark Zuschüsse, es hätte 10.000.000 Mark. Mindestens. Aber die Phantasie und die Kunst vergangener Jahre hat in der Gegenwart, so scheint's, leider keine Lobby.
Von einem Traum hatte der Besucher dann auch wenige Kilometer weiter westlich, in den Büroräumen des Metropolis, gehört. Von einem Traum, der sich auch zerschlug, aus dem aber dennoch etwas wurde, nämlich das Archiv. Ursprünglich, so erzählt Heiner Roß, habe er nichts anderes vorgehabt, als die besten 150 Filme der Geschichte zu sammeln und der Reihe nach zu zeigen. Jede Woche einen, so daß ein fleißiger Filminteressierter sie sich hätte bequem in drei Jahren anschauen können.
Das war Anfang der 80er Jahre. Der Traum zerschlug sich. Es gab auf dem Markt einfach die Kopien nicht. Aber dafür öffneten sich andere Kanäle, und von allen Seiten kamen plötzlich andere Filme. Nicht so hochklassige manchmal, aber sie waren da und konnten gekauft und gezeigt werden. Kontakte knüpften sich. Schenkungen kamen hinzu. Und so hat man heute – 15 Jahre später – viele der 150 Filme immer noch nicht, aber man hat etwas anderes, einen nicht so funkelnden, aber höchst lebendigen Schatz. Wenn das kein Traum ist! Nächste Woche könnte er zerplatzen. Dirk Knipphals
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