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„Ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang“

■ Osteuropa-Experte Heinrich Machowski hält die EU für noch nicht erweiterungsfähig: Reformen fehlen, Einzelheiten zu Kapitalfreiheit und Arbeitskräftemobilität sind noch ungeklärt

taz: Die EU wird demnächst fünf neue Mitglieder haben. Welchen Nutzen hat die EU-Osterweiterung?

Heinrich Machowski: Die Wohlstandsgrenze zwischen West- und Osteuropa soll nicht so schmerzhaft bestehen bleiben, wie sie jetzt ist. Die EU-Mitgliedschaft wird sich ökonomisch für die Beitrittsländer vorteilhaft bemerkbar machen. Wir sind davon überzeugt, daß mit der ökonomischen Stabilisierung auch die sicherheitspolitische Situation in Gesamteuropa stabiler wird.

Das sind schöne politische Gründe. Aber wo genau liegt der wirtschaftliche Nutzen für die EU? Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und Mittelosteuropa sind doch schon jetzt sehr gut.

Es gibt ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit in Fragen des Rechts, der Ökonomie und der Umwelt. Das ist besser gewährleistet, wenn diese Staaten EU-Mitglieder sind. Einen Druck von Seiten der Industrie auf die EU gibt es allerdings tatsächlich nicht.

Möglicherweise zu Recht, denn immer wieder werden auch Warnungen vor einer Erweiterung laut. Wo sehen Sie die Risiken?

Ich halte die EU für noch nicht erweiterungsfähig, weil bisher noch nicht die nötigen Reformmaßnahmen beschlossen wurden, um einen baldigen Beitritt zu ermöglichen. Ich denke, die EU- Osterweiterung hängt weniger von der Anpassungsbereitschaft der Beitrittsländer ab als von der Reformfähigkeit der EU.

Probleme von seiten der Beitrittskandidaten sehen Sie also nicht?

Doch. Die tschechische Volkswirtschaft ist im letzten Jahr in eine sehr scharfe Krise geraten. Das Hauptproblem bei diesen Fragen besteht allerdings darin, daß man im voraus nie weiß, ob ein Land, das in die EU will, auch die wirtschaftliche Basis dafür hat. Wir haben es erstmals zu tun mit einer extremen Beziehung zwischen reichen, alten und sehr schwachen, jungen Volkswirtschaften. Wir wissen auch alle nicht, was die Erweiterung einmal kosten wird, insofern ist die Osterweiterung ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang.

Kann man sich die Osterweiterung so ähnlich wie die deutsch- deutsche Vereinigung vorstellen, also beispielsweise mit einer neuen Übernahmewelle?

Die Freiheit der Menschen und des Kapitals sind Hauptbedingungen eines Beitritts. Genau deswesen möchten beispielsweise die Polen Ausnahmeregelungen für den Landkauf durch EU-Bürger durchsetzen, weil viele dort befürchten, die Deutschen kommen und kaufen ihre ehemaligen Ländereien zurück. Zu solchen Ausnahmeregeln ist die EU aber nicht bereit.

Auf der anderen Seite hat die CSU vor kurzem gefordert, keine Freizügigkeit der Arbeitskräfte vor dem Jahr 2015 zuzulassen. Das sind wirkliche Knackpunkte, und ich bin sicher, daß die EU am längeren Hebel sitzt. Im übrigen ist das Modell Ostdeutschland nicht wiederholbar. Es hatte eine starke Regierung und große Finanzmittel zur Voraussetzung.

Werden die Beitrittsländer später auch den Euro als Währung übernehmen?

Es gibt keinen Zwang, sondern klare Kriterien für den Beitritt zum Euro. Aber Länder, die nicht dem Euro beitreten, gehören nicht zum harten Kern. Dann passiert das, was wir ohnehin erwarten: daß die EU eine Union der unterschiedlichen Geschwindigkeiten sein wird. Mir fehlt die Phantasie zu erkennen, wie so eine Gemeinschaft funktionieren soll. Der harte Kern kann nur funktionieren, wenn allein Kernmitglieder mitbestimmen. Das heißt alle anderen werden die Entscheidungen des harten Kerns einfach nur zur Kenntnis nehmen können.

Also sind die Neuen vorerst keine normalen Mitglieder der Gemeinschaft.

Wahrscheinlich. Für längere Zeit sind sie irgendwie Sondermitglieder mit Sonderregelungen wie zum Beispiel sehr langen Übergangsfristen. Man darf aber nicht vergessen, daß etwa auch Spanien 17 Jahre Sonderrechte gehabt hat. Interview: Walter Kaul

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