: Gefälligkeit auf ganzer Linie
■ Weltmännische Kollaboration: Neumeier inszeniert „Bernstein Dances“ in Armani-Gewändern
Vicky Leandros mußte extra später eintreten, damit die Rotte Fotografen und Camerateams sie alleine auf der Saaltreppe ablichten konnte, Esther Schweins hatte Probleme, erkannt zu werden und litt darunter, und überall, wo Italienisch gesprochen wurde, zuckten die Köpfe der feinen Gesellschaft herum: War da Armani? Die „subventionierte Modeshow“, wie Die Woche John Neumeiers neue Choreographie Bernstein Dances vorab tituliert hatte, verwandelte die Hamburgische Staatsoper für einen Abend in eine prominentengeile Gewitterstimmung.
Die über 400 Kostüme, die der weltberühmte Modedesigner für Neumeiers Ensemble entworfen hatte, lockten kunstferne Geldmenschen mit dem Duft der Mondänität in diese Stätte der Hochkultur – und sie wurden nicht enttäuscht. Denn auch der altgediente Choreograph tat der weltmännischen Kollaboration alle Ehre und beichtete seine Anhimmelung des amerikanischen Komponisten und Dirigenten in schwülstiger Oberflächlichkeit. Neumeiers Jugendstil, bei dem der Mensch immer Illustration für Melancholie oder Euphorie sein muß und dabei einen naiv-verwzeifelten Gesichtsausdruck trägt, als sei die ganze Welt eine einzige Überforderung, ließ sich für die programmierte Verklärung besonders schön schmiegen.
Vor gigantischen New-York-Prospekten siegte die Gefälligkeit auf der ganzen Linie. Lediglich in kurzen Momenten, während einer endlos dauernden Appartment-Szenerie, zuckten kleine Blitze von Aggression und Liebeskampf in die Choreographie, die ansonsten so tat als sei das Leben ein Ballett. Ist es aber nicht.
Leben, das scheint uns gewöhnlichen Menschen gerade der Bereich zwischen überschwenglicher Begeisterung und ichverzehrender Verzweiflung zu sein, wo die Elegie nur eine Randerscheinung ist. Aber in der großen Kunst des Balletts und bei Genie-Verherrlichungen muß das scheinbar anders sein. Da muß Freude immer gleich kindliche Albernheit, Ernst immer gleich gestenreicher Weltschmerz sein, und das alles möglichst gut angezogen. Für drei Stunden ist das ein bißchen viel Gefühls-Kitsch.
Und Armani? Von einigen lila Kostümchen abgesehen, erfüllte seine Arbeit alle Erwartungen – sie fiel nicht auf. Doch der Tanzabend hatte auch positive Seiten: Er rief in Erinnerung, daß Leonard Bernstein ein facettenreicher Komponist war, der seine eigenen großgefühligen Konventionen zerbrechen konnte, um zu neuen Klanggedanken vorzustoßen, die durchaus quer im Hirnkasten stecken bleiben. Demgegenüber war die hübsche Hommage der Brüderchen Neumeier/Armani eine echte Blamage. Begeisterte Boutique-Süchtige und Krawattennadel-Fetischisten bestätigten das mit einem riesigen Bohei nach dem Vorhang. Kleiner Trost: Jugoslawien - Iran war auch kein besseres Theater.
Kees Wartburg
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