: Wenn Dylan nur so will wie er kann
■ Bob Dylan enttäuschte in der Bremer Stadthalle nur all jene, die ein altgewordenes enfant terrible erwartet hatten / Alle anderen aber sahen, daß er noch quicklebendig ist
Damit hatten wohl die Wenigsten gerechnet: Bob Dylan ist berüchtigt dafür, wie sehr die Qualität der Konzerte von seiner Tagesform abhängt, und meistens hat er schlechte Laune. „Er massakriert seine Lieder“, ist die oft gehörte Klage nach seinen Auftritten, aber daß er sie an guten Tagen auch zelebrieren kann, erlebten die wenigen Glücklichen am Sonntag abend in Bremen.
Vielleicht war Bob Dylan inspiriert durch die nur halb gefüllte Stadthalle, vielleicht fuchst ihn immer noch der Erfolg seines Sohnes Jacob als Sänger in der Band „Wallflower“ so sehr, daß er der Welt nochmal beweisen will, wozu ein Bob Dylan fähig ist, wenn er nur will.
Auf jeden Fall lieferte er in Bremen einen makellosen, mitreißenden und dramaturgisch geschickt aufgebauten Set, der wie eine souveräne Fokussierung seiner gesamten Karriere wirkte. Zur Mitte des Konzerts wurde er gar so übermütig, daß er versuchte zu singen! Jawohl, bei „Tangled up in Blue“ schwang er seine Stimme in schwindelnde Höhen. An diesem Abend schien alles möglich!
Überraschend war auch die Grundstimmung des Konzerts. Bei der spartanisch düsteren Atmosphäre seines neuen, erfolgreichen Albums „Time Out of Mind“ hatte man kaum solch einen beschwingten, fast barock ausufernd spielenden Dylan erwartet. „Brand new Pillbox Hat“, ein Song aus den frühen 60ern, wurde in einem rockigem Shuffle-Beat gespielt, es gab Lieder in Reggae- und Hillbilly-Versionen, und Dylan war sich nicht zu schade dafür, ganz bodenständig und solide vorzuführen, wie gut er das Handwerk eines Pop-Musikers beherrscht.
Offenbarungen oder Erleuchtung, die sich die strenggläubigen Dylan-omanen von seinen Auftritten erhoffen, gab es hier nicht, aber einen Song wie „Travelling in the north country fair“ hat Dylan (nach der bescheidenen Meinung eines Freundes, der einst so dylan-fest war wie andere bibelfest) früher nie so schön und melancholisch gesungen.
Die sehr gut eingespielte Band , mit dem Gitarristen Tony Gurnier und Bill Baxter an der slide-guitar, bewältigte die vielen Stimmungs- und Stilwechsel mit der gleichen Eleganz und Spielfreude wie der Meister: Nach lauten, rockigen Phasen gab es akustische gespielte Stücke mit Kontrabaß, Besen auf den drums und Mandoline, und für ein langes, pfiffiges Solo holte Dylan auch seine Mundharmonika heraus.
Ohne jede zynische Attitüde gab Dylan dem Publikum, was es hören wollte. Die neuen Songs – nicht so nihilistisch und karg wie auf der Platte – und die Greatest hits.
Selbst „Blowing in the Wind“ gab es als letzte Zugabe und war so frisch gesungen, als hätte er es gerade komponiert. „Knocking on heavens door“ klang durch eine kleine Textänderung („like so many times before“) wie ein gesungener Kommentar zu Dylans Heilung nach schwerer Krankheit im vergangenen Oktober, und zu „Everybody must get stoned“ ließ sich Dylan vielleicht durch die eindeutigen Düfte in der Stadthalle hinreißen.
Ein großartiges Konzert, und dabei hatte man sich schon fast auf eine Katastrophe gefreut. Aber das geniale Schlitzohr hat es uns allen mal wieder gezeigt: Dylan lives.
Wilfried Hippen
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