piwik no script img

Berliner SPD muß eine Katharsis durchlaufen

■ Jüngere Menschen haben in der Berliner SPD höchstens die Chance, nach zehn Jahren Parteiarbeit Unterabteilungskassierer zu werden, meint Thomas Krüger, früherer Jugendsenator in der Stadt und im

taz: Sie haben beschlossen, Bonn den Rücken zu kehren und hier nach einer „Kinderpause“ wieder etwas Neues anzufangen. Nun zeichnet sich die Berliner SPD gerade für jüngere Leute nicht gerade durch Kreativität und Beweglichkeit aus. Was reizt Sie dennoch wieder an Berlin?

Thomas Krüger: Zunächst muß man sagen, ob SPD, ob CDU, ob Grüne – die Parteien bilden einen bestimmten Querschnitt der Stadt ab, auch die SPD spiegelt nur ein gewisses Milieu wider. Man kann nicht erwarten, daß die Parteien alles bewegen.

Dennoch müssen die Parteien doch auch Politik machen ...

Schauen Sie sich den Frakionsvorsitzenden Klaus Böger an oder die Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing. Die haben einen Blick für das, was in der Stadt notwendig ist. Jeder, der in der SPD Politik macht, egal ob ein ganz junger oder ein alter Haudegen, ist immer in der Situation, es erst mit dieser Stadt zu tun zu bekommen. Die Stadt ist in der Anpassung an die Realität, aber auch in der Erkenntnis ihrer Chancen und Potentiale viel zu langsam. Nicht die SPD ist zu langsam, sondern die Stadt ist zu langsam. Das Problem tritt dann natürlich auch in den Parteien auf.

Ab dem kommenden Jahr wird der Bundestag größtenteils in Berlin arbeiten. Denken Sie, daß damit auch für die SPD frischer Wind, neue Ideen, andere Leute in die Stadt kommen?

In jedem Fall. Ansatzweise sieht man das jetzt schon: Bundesbeamte – bestimmt keine Low-budget-Typen, sondern Menschen mit Kenntnissen von Bundespolitik, von Politik überhaupt – kommen aus dem Bonner Raum nach Berlin, sind teilweise schon da.

Aber auch junge Akteure in Kultur und Wirtschaft kommen aus dem gesamten Bundesgebiet nach Berlin. Und das macht sich in der Parteiarbeit schon bemerkbar. Die haben einen ganz anderen Anspruch an Parteiarbeit.

Was heißt einen anderen Anspruch an Parteiarbeit: weniger Parteitage, dafür mehr öffentliche Aktivität? Oder werden andere Diskussionen geführt?

Ich habe beobachtet, daß dort, wo die Neuen in ihre Ortsvereine einsteigen, diese hier in der Stadt mit ihrem Know-how, mit ihrem Backing in politische Diskussionen einsteigen und durchaus sehr ambitioniert sind. Nehmen Sie das Beispiel Ostberlin, wo die Parteimitgliedschaft auch recht dünn gesät ist. Wo Sie nicht so viele Aktive haben.

Da kommt so ein Spitzenbeamter, der kann einen ganzen Kreisverband aufmischen, wenn er sozialpsychologisch geschickt verfährt: sich nicht als Wessi aufspielt, sondern Politik begreift als eine Mischung aus politischer Bildung, konstruktivem Ratschlag und Partizipation. Die Ostberliner Sozialdemokraten gelten ja oft als langsam und piefig. Sie sind es aber überhaupt nicht. Wenn die ein Projekt, eine Idee haben, verfolgen sie die hartnäckig.

In meinem Bezirk Friedrichshain haben wir eine ziemlich dichte Ost-West-gemischte Juso-Infrastruktur. Wenn die eine Idee haben, dann ziehen die das auch durch. Widerstand dagegen gibt es aus der Partei selten, weil sie schlicht ein Drittel der Partei sind. Diese Ostberliner Kreise mit ihrer dünnen Personaldecke und dieser Struktur können Talente anders assimilieren. Darin liegt die Chance der Partei.

Ansonsten gehen Talente ja immer sehr schnell unter. Nach dem Motto: Du mußt erst einmal zehn Jahre bürsten und nach zehn Jahren dann Unterabteilungskassierer werden. Dann, wenn du dir alle Hörner abgestoßen hast, darfst du auch mal in die Bezirksverordnetenversammlung. Dann ist aber auch schon Schluß.

Und nutzt die SPD diese Chance tatsächlich?

Vor allem in den Ostberliner Kreisen kann man beobachten, daß junge Leute zum Zuge kommen. In einigen Westberliner Kreisen allerdings auch. Ich würde sagen, Klaus Böger hat dafür auch einen Blick; oder auch Walter Momper. Sie sehen genau, wenn sie in der Partei etwas nach vorne bringen wollen, dann müssen sie die jüngeren Leute nicht nur in den Kreisvorständen belassen, sondern sie in den Landesvorstand holen.

Die Initiative jüngerer Parteimitglieder, wie zum Beispiel „40 plus minus“, das sind keine Hinterbänkler, die können eine ganze Menge Leute mobilisieren. Abgesehen davon, daß ihre inhaltlichen Vorstellungen – offensiv mit Finanzpolitik umzugehen, eine neue Ehrlichkeit einzufordern – mittelfristig von Erfolg gekrönt sein werden. Die Leute brauchen nur Durchhaltevermögen.

Auf dem Parteitag vor zehn Tagen war von dynamischer Aufbruchstimmung wenig zu merken. Sie sagen jedoch, die SPD nutzt die Chance. Warum spürt man dann so wenig davon?

Ich glaube, eines der Kardinalprobleme der SPD – wie im übrigen auch der anderen Parteien, die aber oft geschickter damit umgehen – ist, daß gerade die jungen Leute, die fertig studiert haben, die politisch sozialisiert sind (ein Teil der Leute engagiert sich ja durchaus auch politisch), nicht gezielt angesprochen werden.

Die Partei muß offensiver damit umgehen, wenn diese Leute nach dem Studium versuchen, in den Arbeitsmarkt einzusteigen – damit wir sie zu diesem Zeitpunkt nicht verlieren. Das ist wie mit der Konfirmation: Die Leute werden oft aus der Kirche rauskonfirmiert. Die Leute sind hochqualifiziert, politisch sozialisiert und bringen ihr Know-how teilweise mit spannenden neuen Ideen vom Studium mit. Aber dieses Wissen wird nicht mobil gemacht für die Parteiarbeit. Weil die Leute erfahren, in acht Jahren haben sie die Chance, Unterabteilungsschriftführer zu werden, ziehen sie sich oft in die Passivität zurück.

Die Parteistrukturen erweisen sich nach wie vor als sehr unflexibel, wenn es darum geht, diese jüngeren Talente zu implementieren, einzubauen. Da sind die Ostberliner Kreise eine Riesenchance.

Bedeutet das, was Sie beschreiben, daß sich die Partei auch schon jetzt verändert?

Ich glaube, daß sie sich jetzt schon verändert. Die Partei geht bereits punktuell mit den Ressourcen um, aber das hat noch nicht die Geschwindigkeit erreicht, es in politisches Handeln umzusetzen. Das muß man kritisch anmerken. Aber das Problem wird gesehen, und ich bin deshalb optimistisch. Wir müssen aber noch ein bißchen warten.

Und warum kann die SPD damit schlechter umgehen als beispielsweise die CDU?

Das ist vielleicht das Problem der SPD: Wegen ihres fundamentalistisch-demokratischen Selbstverständnisses ist so etwas nicht von oben machbar. In der SPD ist ein autoritäres Wort – und das finde ich auch gar nicht so schlecht – immer verdächtig. Das ist in anderen Parteien, vor allem in der PDS und der CDU, anders. Dort werden jüngere Leute einfach mal mit Aufgaben versehen, können sich profilieren. In der CDU gibt es einen Staatssekretär Kurth an einer ganz wichtigen Schaltstelle, es gibt einen Wirtschaftsstaatssekretär Branoner, der aufgebaut wird. Das Selbstverständnis der SPD ist auf der einen Seite politisch korrekt, auf der anderen Seite ist es aber auch politisch hinderlich.

Sie appellieren, junge Leute einzubeziehen. Wie sieht es denn nach der „Kinderpause“ mit Ihrer eigenen politischen Zukunft aus?

Ich habe noch keine konkreten Pläne. Ich werde im nächsten Jahr wieder einer geregelten Arbeit nachgehen, das kann Politik sein, muß es aber nicht. Eine Rückkehr in die Landespolitik schließe ich auf jeden Fall nicht aus.

Nach dem Parteitag ist viel über den Spitzenkandidaten der SPD für 1999 geredet worden – Walter Momper, Klaus Böger oder doch Peter Strieder. Kommt der Spitzenkandidat der SPD aus der Stadt, oder wird es ein Import sein?

Man hat hier in der Stadt mit den Importen nicht immer die besten Erfahrungen gemacht. Auf der anderen Seite hat die Stadt natürlich Hans-Jochen Vogel und Richard von Weizsäcker bekommen. In den 80er Jahren hatten sie nicht den langen Spielraum, sich zu entfalten, und bekamen es mit den Grabenkämpfen zu tun. Aber die Grabenkämpfe der 80er Jahre kommen in allen Parteien an ihr Ende. Das ist eine Chance, neu darüber nachzudenken, ob Importe wieder Sinn machen. Aber ich glaube, daß das noch verfrüht ist. Ich glaube, der nächste Spitzenkandidat der SPD wird aus Berlin kommen. Und das ist vielleicht auch gar nicht so schlecht. Man muß noch eine Phase der Katharsis durchlaufen. Einen reinigenden Prozeß kann am ehesten jemand managen, der eine starke Durchsetzungsfähigkeit und eine öffentliche Präsenz hat. Und der aus der Berliner SPD kommt. Interview: Barbara Junge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen