piwik no script img

Klangbrei aus dem Rechner

■ Nur keine Abschalter: Privatradio wird mit Software aus Bremen gebaut

Früher hockten wir gespannt vor dem Radio, um im britischen Soldatensender BFBS die neuesten Entdeckungen aus der Punk-Szene mitzuschneiden. Aber Meister-DJ John Peel hätte heute in den meisten Funkhäusern keine Chance. Sendungen, in denen Musikredakteure ihre Lieblingsplatten auflegen, gibt es bei Privatsendern nicht. Stattdessen regiert das Format. Die Abfolge der Musikstücke bestimmt der Computer, häufig gefüttert mit Software aus Bremen.

„Die einzige Aufgabe von Musik und Moderation ist es, die Kunden von der Programm-Belegungstaste wegzuhalten“, sagt Frank Harreß, Chef der EBH-Radio-Software GmbH. Damit eine Radiowelle „gnadenlos durchsenden“ könne, bietet EBH sein Programm „Repertoire“ auf einer goldenen CD-Rom an. Wie der Chef sagt, mit zunehmendem Erfolg. Zwölf Sender hätten die Bremer Software „zur ausgeglichenen Musikplanung“ im vergangenen Jahr erworben. Insgesamt sei „Repertoire“ bei 43 Stationen bundesweit im Einsatz, darunter der WDR, Antenne Bayern und der MDR. Versionen in Englisch und Polnisch sind fertig.

Der Computer definiert das zur Sender-Zielgruppe passende Format und gibt zu bestimmten Tageszeiten die richtigen Musikstrecken ohne störende Brüche vor. So dürfen nicht zwei Lieder von unbekannteren Interpreten hintereinander laufen oder drei Hits von Top-Stars á la Tina Turner. Wenn ein neuer Titel sich nicht in zwei Wochen durchsetzt, fliegt er raus.

In seinen Lehrjahren als Musikredakteur und Moderator bei diversen Privatsendern hat Harreß das Fehlen einer systematischen Musikplanung erkannt. Er stieg ins Geschäft mit Radio-Software ein.

Entscheidend für die Musikauswahl ist stets die Zielgruppe – und bei angepeilten Altersgruppen zwischen 14 und 49 Jahren ist laut Harreß „schon ein Spagat nötig“. Auch dabei hilft Kollege Computer. Er sucht für vormittags für Hausfrauen und Büroangestellte ältere Stücke aus den 70er und 80er Jahren heraus. „40jährige möchten pro Stunde mindestens zwei 70er Jahre-Stücke, von Techno werden die verschreckt“, weiß Harreß, erklärt der Experte, der seit einigen Wochen im Horner Multimedia-Zentrum logiert. 14jährige wiederum könnten mit YMCA nichts anfangen und verlangten dafür die aktuellen Top 5 aus den Media-Control-Charts.

Am frühen Nachmittag, wenn die Kids aus der Schule kommen, erhöhen die Sender den Druck: Dann werden jüngere Titel aus den aktuellen Media Control Charts ausgewählt, die Musik wird gerne einen Tick schneller gespielt und die Songs schneller ausgeblendet.

„Repertoire“ ermöglicht der Senderleitung die sofortige Kontrolle der Musikauswahl. So läßt sich per Mausklick etwa das Verhältnis von Oldies zu aktuellen Hits abrufen. So kann ein Sender-Chef sofort feststellen, ob die Zielgruppe angesprochen worden ist. Deshalb, so räumt Frank Harreß ein, sei „Repertoire“ bei Musikredakteuren nicht sehr beliebt. Sie halten es lieber mit dem Konkurrenzprodukt „Selector“ der amerikanischen Firma RCS. Hier würden die Musik-Merkmale in komplizierten Zeichenfolgen eingegeben, die Außenstehende schwer nachvollziehen könnten. Allerdings sei „Selector“ bei der Verwaltung eines kleinen Pools von Musiktiteln unschlagbar, gibt Harreß zu. Bei größeren Archiven von bis zu 4.000 Titeln, wie sie die deutschen Sender hätten, sei „Repertoire“ besser.

Um weitere Sender-Chefs zu überzeugen, arbeiten bei EBH stets zwei Programmierer an Up-Dates für „Repertoire“. So lassen sich jetzt die neuesten Informationen über die Stars aus dem Internet ziehen und den Moderatoren anzeigen. Joachim Fahrun

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen