: Stahl und Stückelungen
■ In der Galerie der Gegenwart beeindrucken die „Versuchsanordnungen“ der letzten 30 Jahre des amerikanischen Installationskünstlers Bruce Nauman
Flucht oder Faszination: Die Kunst von Bruce Nauman packt oder stößt ab – gleichgültig kann niemand bleiben gegenüber einem Künstler, der ausdrücklich Wut und Enttäuschung als seine Motivation bezeichnet. Da schreit ein Glatzkopf „Help me, hurt me, sociology – feed me, eat me, anthropology“ und ist zugleich aggressives Opfer und gedemütigter Täter. Diese raumfüllende Videoarbeit stand bei der documenta IX 1992 im zentralen Eingangsbereich des Fridericianums und konnte für die Hamburger Kunsthalle erworben werden.
Die Galerie der Gegenwart hat jetzt um ihre ohnehin größte Gruppe von Nauman-Werken in Deutschland als Kern eine Werkübersicht des 57jährigen Künstlers zusammengestellt. Mit mehr als fünfzig Objekten, Zeichnungen und Videos gibt die Ausstellung von Stahlkonstruktionen bis zu zerstückelten Tierleibern eine Zusammenschau über das vielgestaltige Werk aus den letzten dreißig Jahren. Obwohl der amerikanische Künstler zu den wichtigsten Künstlern der Gegenwart gehört, ist seine Wirkung in Europa eher noch größer als in den USA: Die ganze Ausstellung konnte mit Arbeiten aus europäischem Besitz zusammengestellt werden.
Das Titelthema Versuchsanordnungen bezieht sich auf die Tendenz, Installationen wie psychische oder physische Experimente aufzubauen. Der Künstler hofft, daß die Erfahrungen damit die Betrachter/BenutzerInnen „wie ein Schlag ins Genick“ treffen. Aber diese Härte ist kein Selbstzweck: Es ist die drastisch formulierte Hoffnung, aufzurütteln und die so enttäuschend negative conditio humana zu verbessern. „Es frustriert mich, daß die Menschen sich weigern, andere Menschen zu verstehen, und daß sie so grausam zueinander sein können.“
Entlarvende Wortspiele blinken wie Reklame in leuchtenden Neonbuchstaben, umspringende Leuchtfiguren, die sich mit erigiertem Penis die Faust ins Auge schlagen, verdeutlichen aggressive und sexuelle Konditionierungen. Fragmentierungen von Tierkörpern bewirken verstörende Horrorvorstellungen, und seltsame Kombinationen von Stühlen lassen vermuten, sie könnten zu Folterzwecken benutzt werden. Doch Bruce Nauman verwendet auch das Gegenteil von drastisch-aufdringlichen Formen: Eine seiner „Korridor“-Arbeiten ist mit Dämm-Material ausgepolstert und umfängt den Eintretenden mit fast gänzlicher Ruhe. Schnell wird klar, daß Isolation nur die andere Seite der Aggression ist und gleichfalls eine Bedrohung darstellt.
In dieser konsequenten Formulierung von Gefährdungen ist Naumans Werk herausragend. Doch es umfaßt mehr als bloß eine negative Botschaft: Vom einfachen Abguß einer Negativform eines Stuhls über Modelle unterirdischer Tunnelsysteme zu Zeichnungen und dem speziellen Umgang mit Video wurden verschiedene Einzelaspekte seiner Arbeit zum Vorbild vieler jüngerer Künstler. Eine Wirkungsgeschichte, die der Katalog nachzeichnet.
Hajo Schiff
„Bruce Nauman – Versuchsanordnungen, Werke 1965-1994“, Galerie der Gegenwart, Freitag, 19. Juni bis 6. September; Katalog: Christians Verlag 1998, ca. 200 Seiten, 38 Mark
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