: Nein, es ist eigentlich immer noch nicht so weit Von Susanne Fischer
Willkommen im offiziellen Mitte- Juni-Bulletin, aber starren Sie bitte nicht derart auf meinen dicken Bauch. Beginnen Sie auch Ihre Wortbeiträge nicht mit „Ich dachte eigentlich“ oder „Hattest du nicht gesagt“, oder, in gespielter Harmlosigkeit, mit „Was haben wir eigentlich für ein Datum?“ Ich weiß, was ich gesagt habe: Mitte Juni sei mein Kind auf der Welt. Ich weiß, wir haben Mitte Juni. Dummerweise hat das Kind nicht zugehört.
Alle anderen haben aber ganz genau hingehört und sich Notizen in ihren Kalender gemacht, damit sie jetzt bei mir anrufen können. „Da war doch bei euch in der Nähe diese Zugkatastrophe, da wollte ich nur mal hören, ob es dir gutgeht. Ist das Kind eigentlich schon da?“ – „Bei euch waren ja so schwere Unwetter, da wollte ich nur mal... Hast du dein Kind eigentlich schon?“ – „Ich wollte dich nur mal fragen, ob du glaubst, daß Kohl noch die Wahl gewinnt, und ist das Baby schon angekommen?“ Entfernte Bekannte stehen plötzlich vor der Tür und wollen „nur mal gucken“. Was, sagen sie nicht. Das weiß ich auch so.
Es gibt verschiedene Theorien über die Beweggründe meines Kindes. Ein fehlerhafter Geburtsvorbereitungskurs habe ihm suggeriert, drinnen lebe es sich doch am allerbesten. Aus Rücksicht auf seine Eltern wolle es die Fußball-WM noch abwarten. Es habe vom Guinness-Buch der Rekorde gehört und wolle bis zur Schulreife den Mutterleib nicht verlassen. Es sei zu verwirrt, um den Ausgang zu finden.
Ebenfalls werden verschiedene Methoden empfohlen, um es herauszulocken. Treppensteigen zum Beispiel – eine sehr hübsche Übung für kurzatmige Schwangere. Vielleicht gilt ein Kreislaufkollaps ja neuerdings als Königsweg in den Kreißsaal. Die meisten wohlmeinenden Ratgeber preisen allerdings die „Heiß baden, ein Glas Rotwein, und dann macht euch einen schönen Abend“-Therapie. Selbst gestandene Medizinerinnen nahmen mich im Krankenhausflur beiseite, um im Flüsterton diese Hausmittel anzuraten. Der Liebste und ich machten uns einen netten wehenfreien Abend nach dem anderen, mal im Kino, mal in unseren Lieblingsrestaurant, bis wir endlich begriffen hatten, daß es sich beim „schönen Abend“ um den medizinischen Fachterminus für hemmungslosen Sex handelt. Wie medizinballförmige Personen überhaupt noch hemmungslosen Sex haben können, erläuterte leider keine der Geburtshelferinnen. Zu Rätselraten statt zur Niederkunft führte auch das ominöse Glas Rotwein. Alle Antworten des Fachpersonals auf diesbezügliche Fragen begannen mit „Äh, ja, also, hm“, weil die medizinisch gewünschte Wirkung offenbar ausschließlich in der erhöhten Paarungsbereitschaft der weinfaßförmigen Person besteht.
Unter Berücksichtigung neunmonatiger Abstinenz läßt sich ein Glas Rotwein aber allenfalls als ausgezeichnetes Schlaf- oder Brechmittel einsetzen, je nach Konstitution der Schwangeren. Das sollten eigentlich auch Ärzte wissen. Schließlich kam ich drauf, daß es zwar mein Glas Rotwein ist, ich es aber nicht trinken werde, sondern statt dessen dem Liebsten verspreche, falls er sich meines verkehrshindernisförmigen Leibes annimmt, wahlweise mit geschlossenen Augen oder bei ausgeknipstem Licht. Und das heiße Bad hat übrigens auch nichts geholfen.
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