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Zuschauer, Ihr habt versagt!

Ein offener Brief anläßlich der Absetzung der Serie „Ally McBeal“  ■ Von Christoph Schultheis

Liebe Fernsehzuschauer, was habt Ihr getan?! – Wieso? fragt Ihr? Nichts! sagt Ihr? – Eben.

Für Euch lief auch vorgestern alles wie gewohnt: Italien–Kamerun, was? Oder wahlweise das tumbe Pro 7-„Hart aber herzlich“- Special mit Jennifer & Jonathan und – apropos tumb: speziell für Euch – mit Katja Riemann.

Den Sender Vox jedenfalls habt Ihr ja schon die letzten zehn Mittwochabende nicht einschalten wollen. Und Ihr habt infolgedessen nicht die geringste Ahnung, was ein „Fishismus“ ist, wie ein Gesichts-BH aussieht, wohin es führen kann, wenn „Picket Fences“- und „Chicago Hope“-Erfinder David E. Kelley einen Unisex-Toilettenraum zur handlungstragenden Kulisse umfunktioniert. Tja, nun werdet Ihr's sobald auch nicht erfahren – weil Vox seinen 23-teiligen US-Einkauf „Ally McBeal“ nach acht Folgen wieder aus dem Primetime-Programm nehmen mußte. Und warum? Weil im Umkreis von hundert TV-Geräten gerade mal ein bis zwei von Euch eingeschaltet hatten.

Ihr habt eben versagt! Und Euer Versagen ist symptomatisch.

Nein, Vox ist schuld! Ein Einzelfall! ruft Ihr dazwischen? Logo: Nur weil sich Inline-Skating, Daily Talkshows und „Beverly Hills 90210“ scheinbar reibungslos aus dem Amerikanischen importieren ließen, hatten die Voxler wohl etwas vorschnell zugegriffen, als ihnen der US-Serienerfolg aus dem Reich des Vox-Besitzers Rupert Murdoch in die Hände fiel. Schließlich war „Ally“, die in den USA im September '97 als Gegenprogramm zum allmontäglichen Football mit einem kleinen Quotenrekord startete, schon bald darauf mit zwei Golden Globes (beste Comedy, beste Hauptdarstellerin) ausgezeichnet worden. Außerdem hatte eine allgemeine „Allymania“ die USA erfaßt.

Und weil das mit dem Anti- Football-Format in Amerika so gut geklappt hatte, glaubte man wohl bei Vox, es gebe auch hierzulande eine solide Quotenbasis für eine televisionäre Gegenoffensive zu Uefa-Cup und WM. Ein Irrtum: In sechs der acht gesendeten Folgen trat Ally gegen König Fußball an – und verlor mit ca. 400.000 zu 9.000.000 jedesmal haushoch.

Andererseits, liebe Zuschauer, haben immerhin 80 Prozent von Euch keinen Fußball geguckt, sondern Dinge wie „Gesundheitsmagazin Praxis“ (2,1 Millionen). Aber Ihr ruht Euch wohl lieber darauf aus, daß Sat.1 sich eine „Harald Schmidt Show“ leistet und Euch bei „Fitz“ die überschwengliche Kritik einleuchtete. Oder redet Ihr Euch etwa darauf raus, daß die Amerikaner kein „Ellen“ mehr anschauen wollen, nachdem die Sitcomerin sich als Lesbe geoutet hat? Na prima!

Ist das Eure Rechtfertigung? Den ersten Stein werfen? Oder wollt Ihr Euch nur nicht eingestehen, daß Euch die Amis beim Fernsehen schon immer weit voraus waren (Mia Farrow z. B. benutzte in „Rosemary's Baby“ schon 1967 eine Fernbedienung!) und sind. Und Ihr wollt von dem Vorsprung nicht mal profitieren?

98,4 Prozent von Euch war's jedenfalls komplett egal, daß da eine ziemlich x-beliebige Serie wie „Ally McBeal“ etwas vollkommen Neuartiges wagte. Daß sie den stringenten Handlungsablauf, die überkommene Bad-guy/good-guy/ happy-ending-Botschaft und all die Seh- und Serienimport-Gewohnheiten, mit denen Ihr aufgewachsen seid, endlich einmal durch Diskursivität, Komplexität, Originalität und überraschende Handlungsführung in einen großen Spaß am Jetzt verwandelt. An einem Jetzt, von dem auch „Ally McBeal“ in jeder Drehbuchzeile genau weiß, daß es an sich nur selten lustig ist.

„Geheimtip“ oder „Wußt' ich gar nicht“ à la „Twin Peaks“ gilt hier nicht. Sorry: „Ally McBeal“ ist bei aller Intelligenz, bei allem Wagemut paßgenau für eine breite Zuschauerschaft konzipiert worden. Außerdem hat es sich kaum eine Fernsehzeitschrift oder -seite nehmen lassen, Anfang April auf den deutschen Sendestart hinzuweisen.

Ihr, liebe Fernsehzuschauer, Ihr allein habt den jüngsten Quantensprung im deutschen Fernsehen vermasselt! Bravo, so wird das nie was.

Nichts für ungut: Einer von euch

PS: Vox verspricht nun eine erneute Ausstrahlung der Serie zu einem späteren Zeitpunkt.

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