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Die Deutschen spielen deutsch

Beim 2:2 gegen Jugoslawien bestätigt das deutsche Team samt Lothar Matthäus die vermuteten Stärken und Schwächen bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft  ■ Aus Lens Peter Unfried

Die Welt muß sich mal wieder dieselbe alte Frage stellen: Wie zum Teufel konnten die Deutschen gestern gegen die Jugoslawen ein 0:2 doch noch in ein 2:2 verwandeln? Es ist zum Verzweifeln, ist es nicht? Berti Vogts, die Hände tief in seiner Hose, hat eine Antwort: „Sie wollten uns vorführen“, sagte der DFB-Trainer, „und dafür sind sie bestraft worden.“

Die alte Theorie. Wehe, wenn einer die Deutschen reizt. War das so? Letztlich machten die Jugoslawen hauptsächlich den Fehler den alle machen — sie hatten die Deutschen „am Boden“, bremsten dann aber ab, „wollten nicht das dritte Tor schießen“ (Vogts) oder konnten einfach nicht mehr.

Es spricht wenig dafür, daß das DFB-Team die Wende vor Tarnats abgefälschtem Freistoß (74.) einleitete. Mit diesem überraschenden 1:2 aber fühlte Oliver Bierhoff einen „Ruck durch die Mannschaft“ gehen. Am Ende spielten die Deutschen plötzlich deutsch — sie rannten immer weiter. Sie weigerten sich einfach, zu verlieren. Bierhoffs Kopfballtor zum 2:2 (80.) schien jedenfalls unausweichlich. Und wäre nicht der Kapitän Klinsmann nach einem Schuß auf die Leber K.o. gegangen, glaubt Bierhoff, „hätten wir noch 3:2 gewonnen.“

Vogts meint, mit den Hereinnahmen von Tarnat für Ziege und Matthäus für Hamann „das Mittelfeld geordnet“ zu haben. Vorher hatte Bierhoff bloß gemerkt, „es klappt irgendwie nicht“. Was machte die Jugoslawen zu diesem Zeitpunkt so stark? Sie ließen sich einfach nicht auf Tempofußball ein. Stattdessen suchten sie in einzelnen Situationen den Erfolg, in denen sie dank ihrer individuellen Klasse Überlegenheit zelebrierten. Das funktionierte beim 1:0, als Stürmer Mijatovic an Heinrich vorbeizog und an seinen Schlenzer weder Stankovic und Jeremies noch Köpke herankamen (12.). Spielmacher Stojkovics Abstauber zum 0:2 (54.) fiel, weil Keeper Köpke den Ball durch die Hände gleiten ließ. Daß Köpke so etwas passieren würde, damit hatte keiner gerechnet — es schien aber das passende Symbol für den Abgesang einer Generation.

Was Lothar Matthäus betrifft, so darf man ihm gratulieren: Er ist seit gestern abend mit 22 WM-Einsätzen neuer Weltrekordhalter. Aber handelte es sich — wie bei den zuvor durchs Stadion von Lens schallenden „Matthäus“-Chören — bei seinem 45minütigen Einsatz nicht bloß um das Eingeständnis tiefer Ratlosigkeit einer panischen Fußballmacht? Will man sein Mitwirken extrem positiv sehen, kann man sagen, Matthäus fiel gegenüber dem hilflosen Vorgänger Hamann auf keinen Fall ab.

Was wird nun passieren? „Wir wollten ins Achtelfinale“, sagt Vogts, „wir haben jetzt große Chancen.“ Das ist ein Fakt. Desweiteren will man „alles dafür tun“ Gruppensieger zu werden, um den gefürchteten Holländern zu entgehen. Die, so ahnen manche, könnten die Spielkultur der Jugoslawen mit einem höheren Fitneßgrad paaren. Es wird Opfer geben — Ziege und Hamann sind die wahrscheinlichsten Kandidaten. Und man muß über das Kreativitätsdefizit in Abwesenheit von Häßler (Bank) und Möller (keine Ahnung, wo der war) nachdenken. „Letztendlich“, sagt Bierhoff , habe er „zu wenig Chancen“. Er hat recht. Keiner ist in der Lage, den Stürmern Bälle aufzulegen.

Es war eine schöne Abschlußszene: Lothar Matthäus, wie er ansetzte, in der Mixed Zone über ein Geländer zu hüpfen, dann aber abbrach mit den Worten: „Da komm' ich nicht drüber.“ Achtung, Fußballwelt, Metapher! Tugenden hin oder her: Für den großen Sprung, so können die anderen seit gestern hoffen, sind die Deutschen womöglich doch nicht gut genug.

Jugoslawien: Kralj – Komljenovic, Mihajlovic, Djorovic, Petrovic (74. Stevic) – Stankovic (68. Govedarica), Jokanovic, Jugovic, Stojkovic – Mijatovic, Kovacevic (58. Ognjenovic)

Zuschauer: 41.275 (ausverkauft)

Tor: 0:1 Mijatovic (12.), 0:2 Stojkovic (54.), 1:2 Tarnat (74.), 2:2 Bierhoff (80.)

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