: Kein Pfeifen aus dem Kessel
Sind Sonnenkollektoren etwa Dampfmaschinen? Ein Hamburger kämpft gegen die 98 Jahre alte Dampfkesselverordnung ■ Von Heike Haarhoff
Dr. Matthias Sandrock ist ein Mann, der es nicht schätzt, wenn seine Einwände gegen technische Verordnungen, die nachweislich auf seiner Fachkompetenz als Experte für Solarthermie gründen, im Nichts verpuffen. Es geht um die deutsche Dampfkesselverordnung von 1900, die Dr. Sandrock im ausklingenden 20. Jahrhundert als höchst ungerecht empfindet. „Seit zwei Jahren“, ärgert sich der Mitarbeiter der Hamburger Umweltbehörde, „stelle ich mich gegen den Rest der Länder, insbesondere gegen Bayern“.
Denn die deutsche Dampfkesselverordnung nimmt sich nicht nur der Explosionsgefahr industrieller Kessel in Lokomotiven oder auf Schiffen wie der Schaarhörn an. Nach ihr werden auch artfremde Sonnenkollektoren begutachtet – und zwar für teuer Geld: 5000 bis 10.000 Mark müssen Menschen, die eine umweltfreundliche Anlage zur Warmwasserbereitung auf dem Dach installieren wollen, für deren Begutachtung bezahlen. Dabei „ist ein Sonnenkollektor nicht gefährlich, und er pfeift auch nicht wie ein Kessel“.
Im Alleingang hat der furchtlose Behördenmitarbeiter deswegen die Dampfkesselverordnung für Sonnenkollektoren gestern für gegenstandslos erklärt – zumindest für die rund 700 auf hamburgischem Hoheitsgebiet. Kein folgenloser Entschluß: Anfang September will der Deutsche Dampfkesselausschuß definitiv klären, „wie ein Dampfkessel beschaffen sein muß, um unter die Dampfkesselverordnung zu fallen“.
Anfang des Jahrhunderts war alles einfach: Die Industriekessel, die Wasser aufheizten, bis es dampfte, dienten dem Antrieb der Maschinen. Gelegentlich explodierten sie, und so wurde zum Schutz der Arbeiter die Dampfkesselverordnung verabschiedet. Probleme tauchten erst in den 70er Jahren mit den ersten Sonnenkollektoren auf. Niemand wußte das neumodische Öko-Zeugs einzuordnen. „Die Bayern“, schimpft Sandrock, „sind es gewesen“: Sie deklarierten die Anlagen zu Dampfkesseln, schließlich könne in ihrem Innern bei Temperaturen bis 190 Grad Dampf entstehen.
„Ich“, widerspricht Sandrock, „verneine das“. Denn: „Ein Dampfkessel ist nur dann ein Dampfkessel, wenn er dazu dient, Wasser von über 100 Grad zu erzeugen“. Der Dampf aus Kollektoren dagegen sei nicht gewollt und gehöre in den „nicht-bestimmungsmäßigen Betrieb“. Die Begutachtung dokumentiere bloß, „daß keine dampfkesseltypischen Gefahren vom Kollektor ausgehen“. Sie gebe keine Auskunft „über Qualitätsmerkmale oder Leistungsfähigkeit“. Also sei sie ein „rechtliches Hemmnis“.
Sandrock hofft nun auf die Einsicht der anderen 30 Wissenschaftler im Deutschen Dampfkesselausschuß, damit nicht länger Landesgrenzen, sondern die „Vernunft“ bestimmen, wo ein Sonnenkollektor Sonnenkollektor statt Dampf- kessel ist. Unterstützung wurde ihm bereits signalisiert. Von der Hamburger Gesundheitsbehörde – „Abteilung Dampf und Druck“.
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