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„Ihr könnt mich Flonaldo nennen“

Die Fußballweltmeisterschaft hat einen überraschenden Helden bekommen. Seine Ruhmestat: Er verhalf Norwegen zum Achtelfinale. Sein Name: Tore Andre Flo  ■ Von Peter Unfried

Marseille (taz) – Bei einer Fußball-WM kann man mit einem Spiel berühmt werden. Weltberühmt. Reich sowieso. Das bringen der Stellenwert und die Aufbereitung des Turniers mit sich. Der Trick besteht allerdings darin, das richtige Spiel zu erwischen. Wenn man an den Marokkaner Hadji denkt, hat man ein gutes Beispiel für einen, der sich das falsche ausgesucht hatte.

Tore Andre Flo hat es besser getroffen. Er ist heute nicht bloß der Mann, der dem norwegischen Fußballverband zum ersten Mal in dessen Geschichte in ein WM-Achtelfinale geholfen hat – er gilt jetzt der Weltöffentlichkeit auch als veritabler Weltklassestürmer. Das wird er, wenn nicht alles täuscht, bis auf weiteres bleiben – egal ob die Norweger am Samstag gegen Italien ausscheiden oder nicht.

Flo (25) hat am Dienstag das wirklich zu Herzen gehende 2:1 über den Gruppen-Ersten Brasilien ermöglicht, mit dem die Norweger doch noch weitergekommen sind. Daß die Brasilianer nicht mußten, womöglich nicht wollten, daß großes Glück und ein zweifelhafter Strafstoß zusammenkamen, ist die eine Sache. Was Flo in diesem Spiel geleistet hat die andere. Man muß es nicht auf die beiden Tore reduzieren, die Bebetos 1:0 ad absurdum führten und damit ein Spiel, das „Brasilien eigentlich schon gewonnen hatte“, wie deren Tainer Mario Zagallo sagte.

Es ist aber bezeichnend für Flos Spielweise, daß er auch zehn Minuten vor Ende einen Sprint anzog, als sei es der erste. Es ist bezeichnend, daß er Gegenspieler Junior Baiano zwar davonsprintete, aber nicht ganz, statt dessen der Ball in Baianos Beine geriet, daß er von dort zurücksprang, Flo dann vorbeizog und das Ding zum 1:1 reinschoß. An Baianos Qualitäten mag man zweifeln: Aber so funktioniert Flos Spiel. Er ist ein 1,93 Meter großer, kopfballstarker Brecher wie der Italiener Vieri, nicht so torgefährlich wie der, dafür ein größerer Rackerer, der den Ball fast immer irgendwie zum Mitspieler kriegt – sei es am Boden liegend.

Nach den Eindrücken aus der Mixed Zone scheint Flo ein freundlicher, junger Mann zu sein. Kollegen, die ihn kennen, nennen ihn zudem intelligent. „Ich habe immer nur gedacht: Hey, das ist die WM. Vielleicht ist es meine letzte“, sagte Flo über seine Motivation, „also gebe ich bis zum letzen Moment alles, was ich habe.“ Eine Minute später war er mit dem Kopf einem zweiten Tor nahe, noch eine Minute später per Fuß. Schließlich fiel er in Baiano hinein. Die ewige Frage („War's ein Elfer?“) beantwortete er aus ehrlichem Gesicht immer wieder mit: „Ich denke schon.“

Wie perfekt Flos Umgang mit dem Ball ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Natürlich ist er kein Weltklassespieler im Sinne Ronaldos. Aber: „Was er machen kann“, sagt Kjetil Rekdal, „das wissen wir.“ Während Ronaldo in Marseille zwei, drei magische Andeutungen zustande brachte, arbeitete Flo wie ein doppelter Klinsmann und roch am Ende nach Tor wie Bierhoff. Er ist, findet Rekdal, Kapitän von Hertha BSC und unumstrittener Chef der Norweger, „ein überragender Stürmer“. Die Aufgabe bestehe darin, ihm aus dem Fünfer-Mittelfeld „Hilfe zukommen“ zu lassen. Das klappte ironischerweise erst, als Trainer Egil Olsen im Wissen um Marokkos Führung in seiner Verzweiflung „keine Wahl hatte“. Er mußte die starre Neuner-Verteidigung aufgeben, die Kreativen Mykland, Solskjaer und Tore Andre Flos Bruder Jostein bringen. Danach hatte der Stürmer in fünfzehn Minuten so viele Chancen wie im ganzen Turnier nicht.

Olsens System ist in der Heimat und der Welt viel kritisiert worden für seine Verneinung der Offensivkomponente beziehungsweise ihre Reduzierung auf Flo. Nach dem Sieg über Brasilien hat man Olsen einmal richtig lachen sehen – oder sagen wir: grinsen. Er stand da in seiner kurzen Hose mit der Nr. 24 und sprach erstaunlich lässig davon („Sie sehen, was dabei herausgekommen ist“), wie der Erfolg kam, als das System Olsen aufgehoben worden war. War es aufgehoben worden? Rekdal behauptet, das defensive 4-5-1 habe den Sieg erst möglich gemacht. Man müsse gegen Italien so weitermachen – die Mittelfeldspieler, insbesondere Flos Verbindungsmann Leonhardsen, müßten nur „schnell nachkommen“.

Flos internationaler Durchbruch kam vor einem Jahr mit zwei Toren beim 4:2 gegen Brasilien. Danach holte ihn Chelsea aus Norwegen weg. Dort wird er es künftig nicht einfach haben, nach den Verpflichtungen von Brian Laudrup und Casiraghi, bei bisherigem Festhalten an Vialli, Zola und Hughes. Flo hat zwar mit Chelsea den Europapokal der Pokalsieger gewonnen, Stammspieler konnte er sich letzte Saison nicht immer nennen. An der Stamford Bridge muß er sich am Kurzpaßspiel der Italiener orientieren – was seine Qualität schwächt.

Nachdem er nun aber zum zweiten Mal Brasilien erledigt hat, stehen ihm womöglich noch ganz andere Optionen offen. Es ist klar: Sein erstes WM-Tor, sein zwölftes Tor für Norwegen, sein dienstäglicher Auftritt im Stade Velodrome ist Millionen wert. Nach zwei „schlechten Spielen“ (Rekdal) hatte Flo gestöhnt, er wünschte, die WM könne „noch einmal beginnen“. Sein Wunsch ist in Erfüllung gegangen. „Ihr dürft mich heute nacht Flonaldo nennen“, sagte er. Das klang überhaupt nicht angeberisch – eher bescheiden. Durch die warme Nacht von Marseille brüllten die glückstrunkenen Norweger aber bis in den Morgen nur einen Namen: Flo.

Norwegen: Grodas – Berg, Eggen, Johnsen, Björnebye – Havard Flo (68. Solskjaer), Strand (46. Mykland), Rekdal, Leonhardsen, Riseth (77. Jostein Flo) – Tore Andre Flo

Zuschauer: 60.000 (ausverkauft)

Tore: 1:0 Bebeto (78.), 1:1 Tore Andre Flo (83.), 1:2 Rekdal (89./Foulelfmeter)

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