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Sturm und Drang

■ Nach dem 2:2 gegen die Niederlande sieht Mexiko auch Chancen gegen Deutschland

St. Etienne (taz) – Als in Mexico City das Chaos ausbrach, als das ganze Land wie unter einem einzigen Jubelschrei zu erzittern schien, da war es für Staatspräsident Ernesto Zedillo an der Zeit, zum Telefonhörer zu greifen. Keine Stunde war vergangen nach dem 2:2 der mexikanischen Nationalmannschaft im letzten Gruppenspiel gegen die Niederlande, das die Qualifikation für das WM-Achtelfinale bedeutete, da gratulierte Zedillo den Fußballern seines Landes und fügte einen Appell an: „Vorwärts, Burschen, wollen heißt können.“

Präziser hätte Señor Zedillo nicht ansprechen können, was dieses Team auszeichnet: ein unbeugsamer Wille, der Glaube an das eigene Können, Stolz. Gegen Süd- Korea 0:1 zurückgelegen und 3:1 gewonnen, gegen Belgien 0:2 zurückgelegen und noch ein 2:2 erreicht und nun gegen den Favoriten Holland erneut 0:2 hinten und wieder zum 2:2 ausgeglichen. „Die Moral meiner Mannschaft ist phantastisch“, sagte Trainer Manuel Lapuente, und Luis Hernandez, der Torschütze zum Ausgleich nach exakt 94 Minuten und drei Sekunden, sprach vom „mexikanischen Stolz, der es uns möglich gemacht hat, den Rückstand aufzuholen“. Warum die Mannschaft immer erst zurückliegen muß, versuchte Coach Lapuente zu erklären. „Bei der Weltmeisterschaft gegen große Gegner anzutreten, berauscht meine Spieler geradezu“, sagte er, „und dabei wird dann manchmal die Übersicht verloren.“

Nach dem 3:1 gegen Süd-Korea hatte Stürmer Hernandez zum besten gegeben, man sei nach Frankreich gekommen, „um das Turnier zu gewinnen“. Das ist für den Trainer „etwas hoch gegriffen“, aber er wird den Teufel tun und seine Spieler bremsen. Denn wer an ihnen zweifelt, der beraubt sie einer Stärke. Deshalb ließ Lapuente seine Akteure gegen die Niederlande angreifen in den letzten Minuten, obwohl ja auch das 1:2 zum Sprung ins Achtelfinale gereicht hätte. Natürlich wußten die Mexikaner, daß im Pariser Prinzenpark Süd-Korea gegen Belgien zum 1:1 ausgeglichen hatte, „aber meine Jungs waren so im Eifer, daß ich sie spielen lassen mußte“. Immerhin: hätte Belgien doch noch den Siegtreffer erzielt, wie wäre Lapuente dann dagestanden vor seinen Spielern, wenn er deren Sturm und Drang, „das Wunder von St. Etienne“ (Alberto Garcia Aspe) zu schaffen, abgeblasen hätte?

Der Preis freilich war hoch. Denn als in der 88. Minute der vermeintliche Ausgleichstreffer Blancos wegen Abseits keine Anerkennung fand, gingen Ramirez die Nerven durch. Der Spielmacher der Mexikaner protestierte auf unfeine Weise und erhielt die rote Karte. Den wirklichen Ausgleich durch Hernandez in der Nachspielzeit bejubelte zwar auch Ramirez, aber im Achtelfinale gegen Deutschland muß er zuschauen.

Das ist ein herber Schlag für die mexikanischen Ambitionen. Den Willen, den Glauben und den Stolz der Mittelamerikaner berührt er indes nicht. „Wir haben auch gegen Deutschland eine Chance“, sagt Luis Hernandez, „wir können Geschichte schreiben.“ Ralf Mittmann

Mexiko: Campos – Carmona, Sanchez (55. Pelaez), Davino, Suarez – Villa, Garcia Aspe, Luna (46. Arellano), Ramirez – Blanco, Hernandez

Zuschauer: 36.000; Tore: 1:0 Cocu (4.), 2:0 Ronald de Boer (19.), 2:1 Pelaez (75.), 2:2 Hernandez (90.)

Rote Karte: Ramirez (90.) wegen Schiedsrichterbeleidigung

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