Miami als Fluchtpunkt

Havanna als fixe Idee. Oder: Wie authentisch sind „exiliados“ auf 35mm? Das Filmkunsthaus Babylon zeigt's in Spiel- und Dokumentarfilmen aus und über Kuba  ■ Von Cristina Nord

Miami ist nach Havanna die zweitgrößte kubanische Stadt. Etwa eine Million „exiliados“ leben dort; Menschen, die nach der Revolution die Insel verlassen haben und seither von Florida aus gegen Castro opponieren. Viele von ihnen haben es zu Einfluß und Wohlstand gebracht, und obwohl sie längst ihren American way of life gefunden haben, bleibt ihnen die Rückeroberung Kubas – sie würden von Befreiung sprechen – als fixe Idee. „Nächstes Jahr in Havanna!“ – Das prostet man sich in der Silvesternacht zu, als seien seit dem Sturz Batistas nur wenige Jahre verstrichen. Erst in letzter Zeit wurden in Florida Stimmen laut, die den Mangel demokratischer Strukturen auf der Insel anklagen, sich aber zugleich von den reaktionären Positionen der angestammten Exilführer fernzuhalten suchen.

Daß dies eine Gratwanderung bedeutet, zeigt die Geschichte von Miriam Martinez. Der Schweizer Filmemacher Christian Frei erzählt sie in seiner 1995 gedrehten Dokumentation „Ricardo, Miriam y Fidel“, die derzeit im Rahmen von „Kuba – Porträts“, einer Reihe von Dokumentar- und Spielfilmen aus und über Kuba, im Filmkunsthaus Babylon zu sehen ist. Frei begleitet Martinez bei ihren letzten Gängen in Havanna, bei ihrer Ausreise und bei ihren ersten Schritten in Miami. Gegen Ende, bei einem Abendessen mit anderen Exilkubanern, blickt die Kamera in ein ernüchtertes Gesicht: „Es ist hier sehr schwierig, über Politik zu reden“, hört man Martinez' Stimme aus dem Off.

Der Konflikt zwischen ultrakonservativer und gemäßigterer Opposition ist nicht der einzige, den „Ricardo, Miriam y Fidel“ zur Sprache bringt. Miriam Martinez' Vater, Ricardo Martinez, gehörte zu den Männern, die neben Fidel Castro und Ernesto „Che“ Guevara den Kampf in der Sierra Maestra vorantrieben. Bei aller Desillusionierung hat der einstige Guerillero seine Ideale nicht aufgegeben; den Ausreisewunsch der Tochter konnte er deswegen weder verstehen noch dulden.

Nur sehr zögerlich findet er sich mit ihrem Lebensentwurf ab. Die politischen Entwicklungen greifen also sehr unmittelbar in die Biographien der Menschen ein, wodurch Frei eine wunderbare Ausgangskonstellation für einen Dokumentarfilm gewinnt. Doch leider geht es dem Schweizer Regisseur zu sehr um – wie er es nennt – die Suche „nach authentischen, brüchigen, ,echten‘ Momenten“. Daß er mit einer 35-mm-Kamera immer schon in die Abläufe eingreift, daß er mit schwerem Equipment keine „authentische“ Situation einfangen kann, das sollte er eigentlich wissen. Indem er es dennoch versucht, vergibt er die Hälfte seines spannenden Stoffs an Bilder von Menschen, die sich bemühen, der Kamera Gefühle zu zeigen, und dabei wie unbeholfene Laiendarsteller wirken.

Neben Freis Film stellt „Kuba – Porträts“ das übliche Spielfilmprogramm vor; „Erdbeer und Schokolade“ und „Guantanamera“ von Tomás Gutiérrez Alea dürfen genausowenig fehlen wie „Hello Hemingway“ von Fernando Pérez. Etwas mehr Mut zu Ausgrabungen hätte bei der Auswahl nicht geschadet: Gutiérrez Aleas „Memorias del subdesarrollo“ („Erinnerungen an die Unterentwicklung“) etwa hätte Freis Blick auf das Dilemma um Bleiben und Fortgehen trefflich ergänzt.

Auch Elizabeth Schubs „Cuba 15“, ein bei der diesjährigen Berlinale begeistert gefeierter Kurzfilm, ist nicht dabei, was um so bedauerlicher ist, als das Porträt einer 15jährigen beispielhaft vorführt, was einen gelungenen Dokumentarfilm ausmacht: Die Würde der Akteure wird gewahrt, leichtfertiger Exotismus umgangen, Voyeurismus vermieden und noch dazu für gute Laune gesorgt. Immerhin: Mit „Wer ist der letzte?“ von Uli Gaulke bietet die Filmreihe im Babylon eine Dokumentatio, die genau diese Kriterien erfüllt. Das Porträt des Trompeters Orlando Vidal, der als Tagespatient in einer psychiatrischen Klinik an einer Musiktherapie teilnimmt, macht nicht nur viel Spaß, es zeigt zudem überdeutlich, daß unsere Normalität nicht das Maß aller Dinge sein kann.

„Kuba – Porträts“ bis zum 22. 7. im Filmkunsthaus Babylon, Rosa- Luxemburg-Str. 30, Mitte (Detailliertes Programm? – Nachzulesen in der Cinema-taz)