: Zwischen Boot und hellblau
■ Skulpturen und Zeichnungen von Mariusz Kruk in der Bremer Kunsthalle
„Zamiast dom / powiedzmy mod. / I juz nie ma dokad wrócic.“ Wie? Kein Polnisch in der Schule gehabt? Ts, tss. Wir übersetzen mal: „Anstatt Haus / sagen wir einmal suaH. / Und schon gibt es kein Zurück.“ Reimt sich nicht, sieht aus wie ein Gedicht. Aber ist es eins?
Man könnte Mariusz Kruk fragen. Aber vermutlich sagt er dann das, was er meistens sagt, wenn man ihn bittet, seine Arbeiten zu deuten: „Nein. Dazu will ich nichts sagen.“ Warum auch. Wir können uns ja unseren eigenen Reim machen. Wo? In der Kunsthalle zum Beispiel. Denn dort zeigt der polnische Künstler jetzt einige neue Arbeiten. Keine Gedichte diesmal. Sondern Skulpturen in der großen Ovalhalle und Arbeiten auf Papier im Kupferstichkabinett der Kunsthalle.
Ein altes Holzboot, auf den Rücken gedreht und mit einem hellblauen Schal behängt, liegt aufgebahrt auf zwei alten Holzstühlen. Hellblau: Ist das nicht manchmal die Farbe des Himmels? Der See? Und der Schal auf dem aufgebahrten Boot: Erinnert er uns nicht an dunkle Stunden, fernab von romantischen Seen und hellblauem Firmament?
Kruk ist ein Geschichtenerzähler. Aber er sagt nicht, wovon sie handeln. Zumindest nicht genau. Sowas ist lästig, zumal an einem von Bedeutungsschwere nur so durchtränktem Ort wie der Kunsthalle. „Ohne Titel“ steht neben all seinen Arbeiten. Ein schneeweißes Brautkleid sieht man, daneben eine schwarze Gummimatte, auf der zwei goldene Eheringe melancholische Stimmung verbreiten. Oder eine Türschwelle, hinter der ein Apfel auf einem Schemel sündig lockt. Oder aber zwei Stühle: Auf dem einen liegt ein Damenhut, vor dem anderen liegt ein Herrenhut. Zweifellos die Spuren einer Tragödie, derer man da angesichtig wird.
Und dennoch: Der Betrachtende steht da und weiß nicht recht, ob es nicht ein wenig überheblich, ein wenig anmaßend ist, wenn er etwa den Anblick eines formschönen Turms aus Stühlen und Holzdielen, wo zwischendrin Kinderkleider ein buntes Chaos erzeugen, dazu benutzt, seine eigenen Gedanken schweifen zu lassen. Gedanken an die Kindheit, das Altern, des verlustreichen Aufstiegs in einsame Höhen ...
Aber ja! Darum bittet Mariusz Kruk sogar. Denn seine eigenen kleinen Geschichten, die Dramen und Glücksmomente im Leben des Mariusz Kruk, die sich zweifellos hinter jedem alten, nur zufällig zufällig aussehenden Stuhl oder Hut verbergen, verrät der 46jährige Posener nicht.
Womöglich, weil es wichtigeres gibt, als sich am Privatleben eines anderen zu vergreifen. Aber wer dennoch etwas mehr wissen will über Mariusz Kruk, sollte das Kupferstichkabinett nicht links liegen lassen. Denn die dort ausgestellten Aquarelle, Tuschezeichnungen und Gouachen zeigen mehr als einen guten Zeichner. Hier entfaltet Kruk deutlicher als in seinen Skulpturen seinen Hang zur Ironie, seine bemerkenswerte Fähigkeit, aus banalsten Dingen des Alltags wie aus dem Nichts abstruse Momente zu schaffen.
Und – wieder ganz Kruk – fast überall wandern eine Sonne und ein Sichelmond durch die bizarren Räume, seltsamen Landschaften und aberwitzigen Wohnungseinrichtungen. Vermutlich wieder eine ganz private Geschichte, die er niemanden verraten möchte. Aber zum Glück hat ein jeder seine eigene Geschichte. Nun denn: Woran denken Sie, wenn der Himmel urplötzlich so aussieht wie die Wohnzimmertapete ihrer Großeltern?
Franco Zotta
Bis zum 13. September in der Kunsthalle. Öffnungszeiten: Dienstag von 10-21 Uhr, Mittwoch bis Sonntag von 10-17 Uhr
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