: Achtzehn Zugpferde aus fünf Jahrhunderten
■ Die Deutsche Guggenheim Berlin zeigt eine Auswahl erlesener Zeichnungen von Dürer bis Rauschenberg und wird demnächst um eine Katharina-Sieverding-Retrospektive reicher sein
In der Rangordnung der Künste nimmt das Medium Zeichnung eine Sonderstellung ein. Das fängt damit an, daß die Blätter wegen ihrer Lichtempfindlichkeit jeweils nur für kurze Zeit ausgestellt werden können, und dann auch nur im abgedunkelten Raum. Echte Liebhaber machen es ohnehin anders: Sie gehen in ein Kupferstichkabinett und lassen sich die wertvollen Originale an den Studiertisch bringen. Direkter als dort kann man mit Werken großer Künstler eigentlich nicht in Berührung kommen. Und das Vergnügen ist ein exklusives, obwohl der Eintritt kostenlos ist. Immer noch überwindet lediglich eine verschwindend geringe Zahl an (im Wortsinn) Amateuren ihre Schwellenangst, wahrscheinlich wissen die meisten gar nicht, daß eine solche Möglichkeit der Kunstbetrachtung überhaupt besteht.
So gesehen stellt es durchaus ein Risiko dar, wenn eine dem breiten Publikum verpflichtete Institution wie die Deutsche Guggenheim Berlin ihre aktuelle Ausstellung ausschließlich mit Zeichnungen bestückt. Und doch haben es Thomas Krens von der Guggenheim- Stiftung und Konrad Oberhuber, Direktor der in diesem Fall kooperierenden Albertina in Wien, verstanden, das Wagnis möglichst gering zu halten. Der Trick, dessen Reichweite bereits im Ausstellungstitel „Von Dürer bis Rauschenberg“ angedeutet wird: Man nehme 18 Zugpferde (beziehungsweise 89 Blätter) aus fünf Jahrhunderten europäischer Kunstgeschichte und präsentiere eine, so der Untertitel der Schau, „Quintessenz der Zeichnung“. Ein Schnelldurchlauf also, mit Eventcharakter bitte schön, wär' doch gelacht, wenn das nicht funktionierte.
Damit keine Mißverständnisse aufkommen: Ein Besuch der Ausstellung lohnt in jedem Fall, schon weil man sich eben doch nicht täglich in Wien respektive New York herumtreibt. Unbedingt sehenswert zum Beispiel sind Zeichnungen wie Albrecht Dürers „Skizzenblatt mit dem Raub der Europa“ (um 1494/95) oder Raffaels „Studie zu Pythagoras mit seinen Schülern“, die in der Vorbereitung zu dessen berühmtem Fresko „Die Schule von Athen“ in den Stanzen (den Privatgemächern Papst Julius II.) des Vatikan entstanden ist. Nicht verpassen sollte man auch die Blätter von Rembrandt und seinem Antipoden Rubens, ebensowenig die frühbarocken Entwürfe des weitgehend unbekannten, von Fachleuten aber als Meisterzeichner gerühmten (und wie Raffael aus dem toskanischen Urbino stammenden) Federico Barocci, von dem übrigens das Berliner Kupferstichkabinett am Kulturforum die weltweit reichste Sammlung besitzt.
Trotzdem hinterläßt das Unternehmen einen zwiespältigen Eindruck. Zu groß sind die zeitlichen Sprünge, zu undifferenziert die Unterscheidungen innerhalb des Genres Zeichnung, als daß man wirklich sagen könne, hier werde einem „die Quintessenz eines jeden der vertretenen Künstler mitgeteilt“, wie Konrad Oberhuber dies zur Eröffnung tat. Dem Anspruch würden wohl nur monographisch gegliederte Ausstellungen gerecht.
Sei's drum. Immerhin gibt es noch eine überraschende Nachricht zu vermelden. Sie betrifft das weitere Programm der Deutschen Guggenheim Berlin, die ja bekanntlich ein gemeinsames Kind der Guggenheim Foundation New York und der Frankfurter Deutschen Bank ist. Hatte Guggenheim-Chef Thomas Krens noch vor nicht allzu langer Zeit kategorisch bestritten, daß in dem Ausstellungsraum Unter den Linden die Deutsche Bank selbst Aktivitäten entwickeln würde, so kündigte Deutsche-Bank-Vorstand Tessen von Heydebrecks nun an, die nächste Ausstellung werde mit Werken der hauseigenen Sammlung bestritten. Gezeigt werden sollen Arbeiten der deutschen Künstlerin Katharina Sieverding. Thomas Krens saß daneben und sagte vor Freude kein Wort. Ulrich Clewing
Bis 6.9., Deutsche Guggenheim Berlin, Unter den Linden 13–15. Tägl. 11–20 Uhr, Katalog 49 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen