piwik no script img

Rotkäppchen war mal

■ Bären und Blockhütten heißt die Edutainment-Ausstellung im Völkerkundemuseum – aber im Wald, da ist die Forstwirtschaft

Im Wald findet der Ausflügler Erholung, der Jäger die Waldschänke und Hänsel wie Gretel das Hexenhaus. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus beschrieb die Germanen als Barbaren in undurchdringlichen Wäldern, und die deutschen Romantiker wandten dies als nationale Abgrenzung ins Positive und veredelten den Wald lyrisch. Selbst ökologische Sorgen wie das Waldsterben werden von südlichen und westlichen Nachbarn als etwas so seltsam Deutsches angesehen, daß das Wort als unübersetztes Fremdwort Eingang ins Französische und Englische fand. Dabei ist bis auf wenige Hektar Ausnahme der deutsche Wald eine nachhaltig organisierte Anbaufläche, mehr Objekt der Holzwirtschaft als der Mythen.

Diese Diskrepanz von Waldideologie und Waldpraxis ist der Hintergrund, vor dem das Museum für Völkerkunde sich des Themas unter dem attraktiven Titel Bären und Blockhütten. Ein europäisches Waldabenteuer annimmt und eine ungewöhnliche Mitmach-Ausstellung veranstaltet.

Von einem überlebensgroßen Teddy begrüßt, finden sich erwartungsgemäß Hexenhaus und Bärenhöhle und eine von der Hamburger Kunsthalle entliehene Galerie romantischer Bilder des 18. Jahrhunderts. Doch den Kern des Waldabenteuers bildet eine aus dem finnischen Science Center entliehene Ausstellung, die ohne Rotkäppchen-Romantik Holzbiologie und Forstwirtschaft ins Zentrum stellt.

Science Center ist eine aus den USA kommende Einrichtung, die unterschiedliche Wissenschaftsbereiche ebenso verspielt wie sachlich zu vermitteln trachtet. Sie ist dem „Edutainment“ verpflichtet, ein Neuwort aus Education (Erziehung) und Entertainment (Spaß). Und so gibt es nicht nur einen meterlangen realen Längsschnitt durch einen Baum von der Wurzel bis zur Krone, sondern reichlich Holz zum Anfassen und vor allem Knöpfe zum Drücken und Computersimulationen zum Mitspielen.

Um schweres Waldarbeitsgerät in die Ausstellungsräume bringen zu können, mußte eine Fensterwand des Museums herausgenommen werden. Jetzt kann jeder seine Geschicklichkeit im Hantieren mit Ladetraktor und echten Stämmen probieren. Man kann in der Baumstammperspektive durch ein Sägewerk reisen, die Stabilität verschiedener Holzbalkenkonstruktionen testen, ein finnisches Blockhaus auf- und wieder abbauen oder endlich einmal all die verschiedenen Holzarten in Farbe und Qualität begreifen. Der Waldbrand findet samt Blitz und Gestank dann aber doch nur in einem verspiegelten Video-Simulationskasten statt.

Daß die hiesige Holzwirtschaft die Ausstellung mitgesponsert hat, liegt nahe. Und fast fassungslos machen die Draht-Container, in denen veranschaulicht wird, wieviel Papier die Industriestaaten verbrauchen: In Europa sind es pro Tag siebzigtausend Tonnen !

Hajo Schiff

Museum für Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, bis 30. Dezember. Umfassendes Begleitprogramm: Info unter Tel. 44195 2524; besondere Waldnächte für Kinder (Anmeldung 34890-325)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen