Diese kaleidoskopische Verblüffung

Traumwandlerisch in Choreographie wie Kameraführung machen (gelungene) Musikfilme manch mageren Plot schnell vergessen. Ungläubige lassen sich bitte von der Filmreihe im Zeughauskino überzeugen  ■ Von Lars Penning

Im Jahr 1930 war das amerikanische Kinopublikum die Musikfilme bereits mehr als leid. Drei Jahre zuvor hatte mit dem „Jazz Singer“ der Tonfilm in den Studios Einzug gehalten und durch seinen phänomenalen Erfolg eine ganze Lawine von „Kunstwerken“ mit musikalischen Einlagen losgetreten. In jedem Genre, in den unmöglichsten Plots wurden mehr oder weniger gekonnt die Stimmbänder strapaziert – und die Nerven der Zuschauer gleich mit. Die anfangs noch sperrige Tonfilmtechnik ließ auch die Filme schwerfällig erscheinen – nur allzu oft wurden die Musiknummern aus der starren Guckkastenperspektive gefilmt.

Den Weg aus der Misere wies ein Mann, der trotz seiner Erfolge als Choreograph am Broadway eigentlich nicht allzuviel vom Tanzen verstand. Doch Busby Berkeley brachte die Kamera zum Tanzen: In Filmen wie „42nd Street“ und „Gold Diggers of 1933“ (beide 1933) kroch sie zwischen Reihen hübscher Beine hindurch, schlich und spähte hinter Paravents, schwebte dank komplizierter Kranfahrten durch gewaltige Dekorationen und schwang sich zum „Berkeley-Top-shot“ an die Decke empor, um die in immer wieder verblüffenden kaleidoskopartigen Mustern arrangierten Tänzerinnen zu filmen.

Zunächst für Goldwyn und seit 1933 für Warner Bros. tätig, war Berkeley anfangs lediglich für die Regie der Musiknummern zuständig, die mit dem Rest der Handlung meist nur lose verknüpft waren. Motiviert wurden die alle Theaterkonventionen sprengenden Showeinlagen meist durch Proben oder Aufführungen in Backstage-Geschichten: „Let's put on a show“ – allen Schwierigkeiten zum Trotz. „We're in the money“, singt Ginger Rogers in den „Gold Diggers of 1933“ gerade, als auch schon die Gehilfen des Gerichtsvollziehers die gepfändeten Dekorationen und Kostüme aus dem Theater tragen.

Noch im gleichen Jahr trat Rogers erstmals mit einem Mann vor die Kamera, mit dem sie in näherer Zukunft das Traumpaar des Musicals bilden sollte: Wenn Fred Astaire – etwa in George Stevens' „Swing Time“ (1936) – auf Ginger traf, dann ging es nicht mehr wie bei Berkeley um „Pettin' in the Park“ inklusive Massenchoreographie und Kameratricks, sondern um die ganz große Liebe. Davon mußte die Angebetete allerdings erst noch überzeugt werden – und wie hätte Fred das besser bewerkstelligen können als mit einem Tanz? Die Schritte, mit denen Astaire seine Partnerin in traumwandlerischer Eleganz führte und verführte, dachte er sich meist gemeinsam mit dem Choreographen Hermes Pan aus: Bei den ersten Proben übernahm Pan die Rolle Rogers, der er die „steps“ dann später beibrachte.

Als Rogers Ambitionen zur dramatischen Schauspielerin entwickelte, traf Astaire in einer Vielzahl von Filmen auf technisch weitaus begabtere Tänzerinnen – die Steptänzerinnen Eleanor Powell und Ann Miller sowie die Ballerinen Cyd Charisse und Vera-Ellen – doch seine Harmonie mit Ginger blieb unerreicht.

Eins der schönsten „Spätwerke“ Astaires ist Vincente Minnellis „The Band Wagon“, wo Betty Comden und Adolph Green in ihrem Drehbuch scherzhaft einige der ganz realen Ängste Astaires verarbeitet haben: die Furcht, altmodisch zu wirken (er spielt einen abgehalfterten Musicalstar), oder sein Unbehagen gegenüber zu großen Partnerinnen (und die reichlich zur Schau gestellten Beine von Cyd Charisse sind wahrlich extrem lang). Doch am Ende zählt auch hier natürlich nur die gemeinsame Show.

Triumphierte Astaire mit seiner Eleganz, so gewann Gene Kelly die Herzen vor allem mit seiner Burschikosität und Komik. War Astaire eher „High class“, so verkörperte Kelly den Durchschnittsamerikaner, dem die Lebensfreude geradezu aus dem Anzug platzte. Diesen Übermut spürt man auch aus zwei Projekten heraus, die Kelly gemeinsam mit seinem langjährigen Partner Stanley Donen in eigener Regie realisierte: „On the Town“ (1950) mit seiner „Unternehmungslustige Matrosen auf Landgang“-Geschichte (das erste Musical, das teilweise an Originalschauplätzen in New York gedreht wurde), und natürlich „Singin' in the Rain“ (1952), in dem auf höchst amüsante Weise die erwähnten Unzulänglichkeiten früher Musicals parodiert werden.

Doch nicht nur den Highlights des amerikanischen Musicals widmet sich das Zeughauskino noch bis Ende August, auch das filmisch-musikalische Schaffen anderer Völkerschaften steht – wenngleich etwas beliebig, wie es scheint – auf dem Programm. Allerdings gibt es auch hier Interessantes zu entdecken: die gesungenen Dialoge in Jacques Demys „Les parapluies de Cherbourg“ (1963), das verblüffende Bekenntnis zur verpönten Swingmusik in Käutners „Wir machen Musik“ (1942) oder den erstaunlichen Aufwand an Dekorationen und Kostümen, der die rhythmische Sportgymnastin Marika Rökk in „Frau meiner Träume“ noch – oder wohl doch eher gerade deswegen – mitten im Kriegsjahr 1944 umgibt. „Let's put on a show.“

Musikfilme im Zeughauskino. Tägl. bis Ende August; heute, 18.15 Uhr: „Wir machen Musik“ u. 20.30 Uhr: „West Side Story“; Zeughauskino, Unter den Linden 2