"Der Dollar gehorcht Lukaschenko nicht"

■ Der weißrussische Regisseur Jurij Chaschtschewatzki hält den Präsidenten seines Landes für einen nicht ganz zurechnungsfähigen Lügner. Ohne Rußlands Hilfe wäre das "verrückte Regime" schon längst zu

taz: Unter welchen Bedingungen arbeiten heute Künstler in Weißrußland?

Jurij Chaschtschewatzki: Neben der wirtschaftlichen Situation wiegt ein Problem besonders schwer. Der jetzigen Regierung in Weißrußland sind solche Begriffe wie Kultur und Zivilisation fremd. Die Regierenden wissen vielleicht gerade noch, wie man auf einem Akkordeon spielt. Nehmen wir den berühmten weißrussischen Schriftsteller Vassil Bykow. In der vergangenen Woche ist er für längere Zeit nach Finnland gegangen. Seine Kräfte reichen nicht mehr, um unter diesen Bedingungen zu leben. Wenn solche Leute das Land verlassen, dann deutet das nicht nur auf materielle Not hin, sondern auf eine Katastrophe.

Wie ist Ihre persönliche Situation heute? Nachdem Ihr Film über Lukaschenko im Westen gezeigt worden war, wurden Sie zusammengeschlagen.

Ich kann nicht beweisen, daß das Regime dafür verantwortlich ist, obwohl andere Hypothesen sehr unwahrscheinlich sind. In meinem Studio, wo ich überfallen wurde, hatte ich sehr teure technische Geräte, doch die hat niemand angerührt. Die Täter haben bloß das Drehbuch mitgenommen, an dem ich gerade arbeitete. Auf der anderen Seite belustigt mich das. Denn für einen Dokumentarfilmer ist dieses Regime schrecklich interessant. Hier, direkt vor unsere Haustür, vollzieht sich die Rückkehr zu einer Diktatur. Da kann ich mich nur beglückwünschen, daß ich die Chance habe, diesen Irrsinn zu dokumentieren.

Was fällt Ihnen denn zu Präsident Alexander Lukaschenko ein?

Mir scheint, daß unser Präsident nicht ganz zurechnungsfähig ist. Er lebt in einer Welt voller Illusionen. Er meint sogar, die wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten müßten sich ihm unterordnen. Er hat versucht, den Dollarkurs zu fixieren, per Kommando. Dollar, bleib stehen! Doch der Dollar gehorchte nicht. Das machte Lukaschenko niedergeschlagen: „Wie, ich, ein vom Volk gewählter Präsident, bin nicht fähig, den Dollarkurs zu fixieren?“ Hinzu kommt noch seine Eigenschaft zu lügen. Ganz ohne Scham. Einen genialeren Lügner habe ich noch nie gesehen. Sogar Tartuffe nicht, der hat manchmal die Wahrheit gesagt.

Trotzdem steht ein großer Teil der Bevölkerung immer noch hinter Lukaschenko. Fast die Hälfte würde ihn wieder zum Präsidenten wählen. Wie erklären Sie das?

Das hat seinerzeit Shakespeare schön ausgedrückt: Dem Verrückten läuft der Blinde hinterher. Einem Verrückten laufen Menschen hinterher, die verblendet sind und keinerlei politische Kultur haben. Die Menschen hier sind sehr gut ausgebildet. Doch sie haben keine politische Kultur und kein Bewußsein darüber, was es heißt, frei zu sein. Sie sind einem Menschen gefolgt, der vollkommen wahnsinnige Ideen propagiert. Dabei spielt auch die fast totale Vefügung Lukaschenkos über die Massenmedien eine Rolle. So ist es unmöglich, den Massen zu erklären, was vor sich geht. Man müßte dazu zu jedem einzelnen nach Hause gehen. Versuchen Sie das mal bei 10 Millionen Einwohnern.

Wie ist der Zustand der Opposition?

Noch existieren einige demokratische Parteien. Und gerade in den größeren Städten werden sich die Menschen allmählich der Situation bewußt. Doch die Unfähigkeit, sich zusammenzuraufen, stört die Entwicklung hin zu einer effektiven Kraft. Außerdem geht es den Oppositionellen oft um die eigene Tasche. Gleichzeitg kommen hier wieder die vom Staat monopolisierten Massenmedien zum Tragen. Die Ideen der Opposition dringen nicht zu den normalen Bürgern. Trotzdem zeichnet sich jetzt eine Koalition zwischen den Chefs zweier wichtiger Oppositionsparten ab, der weißrussischen Volksfront und der Vereinigten Bürgerpartei.

Welche Rolle spielt Rußland?

Wenn es Rußland nicht gäbe, wäre dieses verrückte Regime schon längst untergegangen. Rußland alimentiert Weißrußland, gibt Kredite und liefert Energie. Dahinter stehen die Interessen der Moskauer Finanzmagnaten, wie Beressovski und Gussinski. Für sie zählen nur Ruhe und Ordnung in Weißrußland. Doch das ist eine Friedhofsruhe. Menschenrechte haben solche Leute noch nie interessiert.

Der Westen hat seine Botschafter abgezogen, auch die OSZE hat reagiert. Was kann das bewirken?

Der Westen sollte endlich zu einer eindeutigen Einschätzung der gegenwärtigen Situation kommen. Ich verstehe die Politiker, die daran zweifeln, daß es etwas bringt, die Wirtschaftsbeziehungen zu Weißrußland abzubrechen. Natürlich sind Wirtschaftsbeziehungen zu unserem Land nützlich, ja sie sind sogar unerläßlich. Trotzdem gibt es einen Moment, wo wir das Schwarze schwarz und das Weiße weiß nennen müssen. Es gibt auch Grenzen. Und wenn die überschritten sind, darf man jemandem nicht mehr die Hand geben. Der Zeitpunkt ist jetzt offensichtlich gekommen, die Beziehung des Westens zu diesem Regime eindeutig zu definieren. Dabei müssen die Bedingungen klar formuliert werden: Die Rückkehr zur Verfassung des Jahres 1994, die Rückkehr zu den demokratischen Einrichtungen des Landes, die der jetzige Präsident zerstört hat. Erst dann kann ein Dialog beginnen. Interview: Barbara Oertel