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„Katalysator für total viele Sachen“

■ Die Hamburger Band „Kante“ und die Kölner „Brings“ im Streitgespräch über Rock'n'Roll

Bands wie Blumfeld, Die Sterne oder Kante zeigen, wie es gehen kann mit deutscher Rockmusik. In Köln geben dagegen musikalische Betonköpfe wie BAP und Brings den verschnarchten Ton an. Die Frage ist: Sind die Musiker auch so wie ihre Musik? Nach diesem Gespräch zwischen Kante-Frontmann Peter Thyssen und Brings steht fest: Ja!

Brings haben soeben mit Norbert Blüms Sohn Christian am Schlagzeug ihr Album Glaube, Liebe, Hoffnung veröffentlicht, Kante arbeiten an ihrer Platte Paradizer (österr. für „Tomaten“). Vor Gesprächsbeginn spielten beide Parteien sich auf Peter Thyssens verstimmter Gitarre je ein repräsentatives Lied aus dem Bandrepertoire vor. Brings die engagierte Schmierballade „Kuß“, Thyssen die Bananenflanke „Paketkopf“. Die Fronten waren somit geklärt.

taz: Wie nehmt ihr gewagtere deutsche Projekte wahr?

Peter Brings:Blumfeld haben in Köln gespielt, das war ausverkauft, scheint also gut zu sein.

Ihr selbst entsprecht mehr dem Rock'n'Roll-Klischee.

Brings: Wir distanzieren uns da nicht von. Aber Sex, Drugs und Rock'n'Roll, das ist Bullshit. Wir machen Rockmusik. Sex macht auch jeder so, aber Drogen sind Bullshit, denn dann machste nicht mehr lange Rock'n'Roll.

Peter Thyssen: Also ich habe schon viele tolle Konzerte mit besoffenen Musikern gesehen.

Brings: Na ja, aber irgendwann kommt ja der Punkt, wo die dann immer besoffen sind. Mal ist das okay, da sagt ja auch keiner was, es geht nur um das Klischee, daß Rockmusiker immer besoffen sein müssen, lange Haare, Frauen mit dicken Titten, goldene Wasserhähne und große Autos.

Seid ihr überhaupt eine politische Band?

Brings: Sobald Du den Mund aufmachst, machste ja im weitesten Sinne Politik.

Naja, im allerweitesten Sinne.

Brings: Wir beziehen schon Stellung zu manchen Sachen, aber erstmal machen wir Musik, weil wir nichts anderes können.

Bei Kante war es umgekehrt, da kam man von der Politik zur Musik.

Thyssen: Wir sind alle politisch unheimlich engagiert gewesen.

Christian Blüm: Ist doch auch ok.

Thyssen: Ich versuche, in meinen Texten eine bestimmte Haltung zu zeigen, alles andere finde ich langweilig.

Blüm: Das muß bloß authentisch bleiben. Was mich bei manchen Gruppen nervt, ist dann so eine aufgesetzte Geschichte.

Brings: Was meinst Du denn eigentlich mit „bestimmte Haltung“?

Thyssen: Selbstbestimmt sein. Musik zum Spaß. Als Beruf finde ich das kleinbürgerlich.

Brings: So ein Quatsch. Meine Musik ist mein Lebensinhalt.

Zurück zu den Botschaften.

Harry Alfter: Ach, Botschaften. Mein Mädchen und ich haben ein Kind bekommen, also heißt unsere Single Fleisch und Blut. Ich habe die Augen von dem Kind gesehen, ich kann das nachvollziehen. Das kannst Du vielleicht nicht, vielleicht mußt Du ja irgendwie über den Terror in Hamburg singen.

Thyssen: Mich nervt das immer, wenn ich den Seelenmüll von anderen Leuten vorgesetzt kriege.

Alfter: Deines ist doch auch Seelenmüll. Es geht doch darum, ob man sich damit identifiziert.

Thyssen: Ich will mich gar nicht mit irgendwas identifizieren.

Alfter: Dann hast Du ja gar kein Ziel.

Thyssen: Sich auf eine Bühne zu stellen ist ja schon mal ein so lächerlicher Vorgang. Wenn das Publikum dann auch noch denkt, daß man das jetzt tatsächlich so meint, finde ich das superklasse. Das finde ich interessanter als so schnöde Rockmusik, wie Ihr sie macht.

Brings: Es gibt auch Leute, die auf Volksmusik stehen, da kriege ich dann das Kotzen.

Thyssen: Ich finde das toll.

Alfter: Das findest Du toll?

Blüm: Ich toleriere das, ich mag's nur nicht.

Brings: Entweder berührt mich ein Song, oder eben nicht. Diese „ufta-ufta“-Dancemusik z.B. finde ich scheiße, da komme ich mir wie ein Opa vor.

Thyssen: Ich finde diese Musik großartig. Das ist doch auch politisch: die Demokratisierung von Produktionsverhältnissen.

Engel: Ich glaube, Du siehst das alles viel zu eng. Was Musik betrifft, bin ich total tolerant. Du aber wirkst intolerant. Das ist Dein Manko. Ich finde Jazz gut, ich finde Klassik gut, ich finde sogar bestimmte Techno-Sachen gut, aber blöde finde ich...

Blüm: So ideologisches Gerede.

Thyssen: Also ich habe überhaupt nichts gegen Ideologien.

Blüm: Ich schon. Das Tolerieren erweitert auch den Horizont. In dem Moment, in dem Du Dich für eine Ideologie entscheidest, bist Du nicht mehr offen für alles. Und offen sein für alles, das fehlt total in Deutschland.

Alfter: Und dann passieren Unmenschlichkeiten, Kriege...

Thyssen: Mir ist das zu wenig, alles zu tolerieren, da fehlt mir einfach die Auseinandersetzung.

Brings: Diese Diskussion ist so müßig. Über Musik kann man nicht reden. Ich habe auch noch keine Band erlebt, die die Welt verändert hat.

Blüm: Na, doch, Musik ist ein Katalysator für total viele Sachen, man ändert schon was, das darf aber nicht konkretes Anprangern sein, das ist platt und bringt auch nichts.

Alfter: Entweder, Du findest jemanden gut oder eben nicht. Mehr kann man dazu nicht sagen.

Moderation: Benjamin v. Stuckrad-Barre

Konzert mit Kante, Go+ und Surrogat, heute, 21 Uhr, Rote Flora

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