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Speer besiegt Gewehr

■ Wenn Flugzeuge zu Käfern werden und ein Ehebruch sich in Zickzackornamenten darstellen läßt: Über kongolesische Kunst informierte ein Vortrag im Übersee-Museum

Das früheste Kunstprodukt kongolesisch-europäischer Kooperation ist ein „Erdapfel“. Er stammt aus dem Jahr 1491: Kurz nach seiner Beteiligung an der ersten europäischen Kongoexpedition ließ der Nürnberger Martin Behaim den ersten Globus der Welt verfertigen. Jeder Kontinent ist gleich weit weg vom Erdmittelpunkt – aber nicht von der Macht.

In den folgenden Jahrhunderten gestaltete sich die Nord-Süd-Beziehung eher einseitig, eher wirtschaftlich, eher mörderisch. Erst in den 1920er Jahren gab es Raum für kulturellen Austausch. Belgische Kolonialbeamte streunten durch die Dörfer, um kongolesische Märchen niederzuschreiben und Papier und Aquarellfarbe zu verteilen. „Seiteneinsteiger“, zum Beispiel Handwerker, nahmen das Angebot an, übertrugen die traditionelle, rituelle Körper- und Häuserbemalung aufs Zeichenblatt, entwickelten eigene Individualstile und setzten Namen und manchmal auch Datum unters Bild. Der Schritt vom Kunsthandwerk zur Kunst, vom Wandornament zur Tafelmalerei war gemacht.

Die Bremer Archäologin Helke Kammerer-Grothaus erzählte im Überseemuseum von den ersten bekannten Malerpersönlichkeiten. In ihren schlecht angepaßten Anzügen, mit Ehefrauen in skurriler Charlestonkleidung an ihrer Seite, wirken sie auf angegilbten Fotos wie Zwitterwesen. Zum Beispiel Djilatendo: Der sah die Welt als unplastischen Schattenriß, signierte auch schon mal ein abstraktes Schachbrettmuster, das von Max Bill stammen könnte, und ließ sich vom Fremden nicht aus der Fassung bringen. Zum Beispiel sah er in einem Flugzeug nicht viel mehr als einen überdimensionierten Käfer, oder er ließ einen winzigen Gewehrträger vor übermächtigem Speerträger bibbern: Ein Gott kann schließlich auf Hightech verzichten, oder? Menschen mit himmelfahrenden Fußspitzen scheinen etwas wie ein persönliches Markenzeichen Djilatendos zu sein.

Kollege Lubaki dagegen zeichnet sich dadurch aus, daß er fast jedem Tier einen Rundrücken verpaßte, sogar Hühnern und Raubtieren. Europäer sehen Raubtiere anders. Spätestens am Enthusiasmus der ersten Tafelmaler aber ist zu erkennen, daß die neue Tätigkeit mehr als Handwerk war. In herzerweichenden Briefen flehten sie die Kolonialbehörden um neues Malmaterial an.

Einige Kolonialbeamte gründeten Malschulen, und zwar mit unterschiedlichem Impetus. Schwärmten die einen von der „magischen Kraft“ der Darstellung, erhofften sich andere „moralische“ Unterstützung „unserer Schutzherrschaft“. Natürlich nutzte auch die Kirche Kunst als Propagandamittel – was Vielfalt und Faszination der Bilder keinen Abbruch tat. Eine klassische Kreuzigungsszene wurde in einen fröhlichen, floralen Ornamentrahmen gesteckt. Eine Madonna trägt auf dem ätherisch-abendländischen Körper einen afrikanischen Kopf.

Der Lichtbildervortrag anläßlich der Ausstellung des in Nord und Süd wertgeschätzten Cheri Sambas zeigt einen Reichtum, der sich Einordnungen verweigert. Zu sehen sind Bilder, die von alten Märchen erzählen – oder von den neuen Erfahrungen mit der Großstadt. Ehebruch findet im Zickzackornament statt, und Zickzackornament mutiert zu christlichen Kreuzen.

In einem Interview äußerte der Moritatenmaler Cheri Samba seine Skepsis gegenüber der selbstreflexiven, konzeptuellen Avantgardekunst des Nordens. Er will festhalten an alltagsgesättigter Kunst mit ihrem Gewusel von Tieren, Bäumen, Fabelwesen, Hochhäusern, Symbolen, Sätzen: Zumindest in der Kunst gibt es den anderen Weg.

bk

Cheri Samba bis 16. August im Übersee-Museum

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