: Blühende Müllkippen
■ Volumen wilder Müllkippen hat sich vervierfacht / Meist müssen Grundeigentümer blechen Von Heike Haarhoff
Jahreszeiten-Wechsel lassen sich am plötzlich veränderten Aussehen der Landschaft ablesen. Wenn das stimmt, wechselt die Saison auf dem riesigen, unbebauten Grundstück an der Max-Brauer-Allee/ Ecke Schulterblatt zig mal pro Jahr. Jeden Morgen verspricht der Blick aus der S-Bahn auf die 7 500 Quadratmeter große Freifläche eine neue Überraschung: Mal sind es über Nacht angekarrte Berge alter Kühlschränke, die das gewohnte Bild radikal verändern, dann Herde und morsche Klobrillen, Autowracks, siffige Polster mit Zigarettenlöchern, Fernseher und ganze Öfen in Mülltüten.
„Dieser Vandalismus hat ungeheuer zugenommen“, klagt Tina Braun von der Stadtreinigung, die dem Wildwuchs von Müllkippen in Hamburg keinen Einhalt mehr zu bieten weiß. „Anscheinend laden leerstehende Grundstücke besonders dazu ein, den eigenen Dreck loszuwerden.“
Das städtische Gelände in Altona gehört zu den bevorzugten Wallfahrtsorten der Pilgerschaft des Mülltourismus: Seit 1992 die beiden Tankstellen, die Garagen und der Imbiß abgerissen wurden, wuchern dort Gräser und Müll um die Wette.
„Es gab Probleme mit dem Verkauf“, heißt es im zuständigen Liegenschaftsamt, das das Schmuddel-Grundstück lieber gestern als heute abgeben würde. Denn auch für die städtische Fläche gilt: Für die Entsorgung des ungewollten Mülls muß immer die Grundstückseigentümerin blechen, weil sich die heimlichen Kipper selten auf frischer Tat ertappen lassen.
70 Mark verlangt die Stadtreinigung für jeden Kubikmeter Schrott, den sie abfährt. Erst im Februar steckte der Bezirk 14 000 Mark in die „Grund-Reinigung“. Von der Aufräum-Aktion war schon zu Frühlingsbeginn nichts mehr zu sehen. „Wir stehen kurz vor Vertragsabschluß mit einem auswärtigen Investor, der noch in diesem Jahr auf dem Grundstück produzierendes Gewerbe ansiedeln und 70 Arbeitsplätze schaffen will“, gibt das Bezirksamt mit Erleichterung bekannt.
Das Problem mit dem ordnungswidrig abgeladenen Müll ist damit nicht gelöst: Überall werden unbewachte Freiflächen zu Angebotsmärkten für Schutt und Gerümpel umfunktioniert. 270 Tonnen wilden Mülls fuhr die Stadtreinigung 1994 in Hamburg ab. Ein Jahr zuvor waren es „nur“ 60 Tonnen. Woher die vierfache Steigerung kommt, weiß niemand: „Wir können nur immer wieder die Leute daran erinnern, daß sie sich selbst schaden“, sagt Tina Braun.
Die ungeschützten Kippen ziehen Ungeziefer an. „4 000 Meldungen über Rattenvorkommen gehen jährlich bei uns ein“, schätzt Gesundheitsbehörden-Sprecherin Christina Baumeister. Die Nager können Tollwut, Milzbrand, Maul- und Klauenseuche und andere unliebsame Krankheiten übertragen.
Ganz besonders ausgefallener Plunder in der Chemnitzstraße nahe einer bekannten Tageszeitung wartet noch auf Abnehmer... Ordnungs- und Katasteramt ermitteln derzeit nach dem Grundstückseigner. Aber es ist schwierig, Ordnungs- und Bußgelder einzutreiben. „Oft werden die Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt“, sagt der Altonaer Amtsleiter Bernd Peters.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen