: Wahlprogramm im Nebulösen lassen?
■ betr.: „Von Verzicht und Maßhal ten“, Kommentar von Severin Weiland, taz vom 6. 7. 98
[...] Bündnis 90/Die Grünen wären meines Erachtens schlecht beraten, mit Herrn Schröder in einen Wettbewerb zu treten, wer am besten sein Wahlprogramm „im Nebulösen lassen“ kann, darin sollte man ihm neidlos mehr Kompetenz zuerkennen.
Ich meine, die WählerInnen haben ein Anrecht darauf, vor der Wahl zu erfahren, mit welchen Positionen eine Partei in mögliche Koalitionsverhandlungen eintrtt. Dem Bild der Grünen als „Verzichts- und Beschränkungspartei“ kann man nur entgegentreten, wenn die politischen Alternativen, die gerade in der grünen Verkehrspolitik gut ausgearbeitet vorliegen, auch öffentlich dargestellt und offensiv vertreten werden. Leisetreterei und Wegducken bei umstrittenen Themen, das fördert nicht die Bereitschaft zum notwendigen Politikwechsel, das fördert eher Politikverdrossenheit und Entpolitisierung. [...] Claus Körting, B'90/Grüne,
KV Bonn
Allmählich verstehe ich als Grünen-Stammwähler die grüne Partei nicht mehr. Tempolimit 100/80/30 km/h: verhandelbar. Sofortiger Ausstieg aus der Atomenergie: verhandelbar. Ökosteuereinführung: verhandelbar. Abschaffung der Bundeswehr: verhandelbar. Natoauflösung: verhandelbar. Zerstörerisches kapitalistisches Wachstum: verhandelbar. Ausgrenzung der Minderheiten: verhandelbar. Was bleibt? Der Griff nach dem Wurstzipfelchen Regierungsbeteiligung! Die grünen MinisterInnen, die werden es dann für uns richten. Warum soll ich aber dann die grüne Partei noch wählen? Weil sie das allerkleinste Übel ist? Kann ich machen, kein Problem! Aber was wird sich dann bei Rot-Grün ändern beziehungsweise verschlimmbessern?
Das erinnert mich doch fatal an Dante, der da meinte: „Die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnungen fahren!“ Gemeint war die Hölle. Nun ja, wir werden sehen, wie der Höllenritt Regierungsbeteiligung ausgehen wird. Vermutlich wird sich die grüne Partei bis zur Unkenntlichkeit weiter selbstverstümmeln. Sie wird dann selbst noch bei ihren konservativen Gegenspielern den letzten Kredit verspielen, wo sie jetzt schon kein Standvermögen hat und noch nicht einmal im Wahlkampf zu ihren originären Forderungen steht. Was folgt ist, daß wir BasisaktivistInnen endgültig vom überholten Parteiensystem Abschied nehmen werden und unsere Kräfte in der Herausbildung einer neuen öko-sozialen und gewaltfreien APO konzentrieren sollten. Sich nicht mehr im wesentlichen um die Machtspielchen angesichts der wirklich ernsthaften Probleme bekümmern. Denn dazu ist die Zeit zu knapp und zu schade. Richard Pestemer, Neunkirchen
[...] Nach meiner Information gibt es bisher keinerlei bindenden Beschluß, daß im Mittelpunkt des grünen Wahlkampfs die ökologische Steuerreform und der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit stehen müsse. Themen wie Friedenspolitik, Demokratie und Umweltschutz möchte ich auch in meinem dritten Bundestagswahlkampf als Kandidat im WK 25 nicht hintenanstellen.
Ich denke nicht daran, erst bei Joschka oder Schröder untertänigst anzufragen, ob meine Forderungen dort genehm sind. Wenn die SPD seit einiger Zeit so sehr deutlich macht, daß mit Schröder grüne Politik nicht zu machen ist, dann sollten die Grünen aufhören dieser unwilligen Braut hinterherzurennen. Ein solch peinliches Schauspiel hat diese Partei nicht nötig. [...] Den Grünen ins Stammbuch mit Erich Kästner: „Was auch immer geschieht: Nie dürft ihr so tief sinken, / von dem Kakao, durch den man euch zieht auch noch zu trinken.“ Ulrich Hemke, Stade
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