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„One World, one Future“. Zum zehnten Mal lockte der weltweit größte Technoumzug die Ravergemeinde nach Berlin. Die Love Parade ist inzwischen Berlins Hauptwerbeveranstaltung: Politiker lieben sie, frühe Fans meiden sie wegen Verprollung. Aus Berlin Detlef Kuhlbrodt

„Sumsen ist buper“

Sitzen drei Raver zusammen. Sagt der eine: Drogen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Sagt der nächste: Techno ist auch nicht mehr das, was es mal war. Sagt der Dritte: Die Love Parade ist auch nicht mehr das, was sie mal war. Nicken dann alle so ein bißchen im Namen der authentischen Ursprünge und loben vielleicht noch die Gegenveranstaltung: die parallel zur Love Parade in der Oranienburger Straße stattfindende Fuck Parade.

So war die Stimmung in Berlin vor dem Wochenende. Und trotzdem: Wieder kamen eine Million Menschen zur Parade – behaupten die Veranstalter. Business as usual, könnte man sagen und sich wahlweise freuen oder ärgern über die Institutionalisierung des weltweit größten Technoumzugs, der dieses Jahr zum zehnten Mal stattfand.

Am Anfang, 1989, zogen ein paar Drogen- und Musikfreaks auf Ecstasy über den Ku'damm. Mittlerweile ist die Love Parade die Berliner Hauptwerbeveranstaltung. Das trotz zunehmendem Anteil der Normalbevölkerung – also steigendem Alkoholkonsum – vermutlich weltweit größte Drogenmeeting erfreut sich gerade bei der CDU immer größerer Beliebtheit; während sie von Berliner Linken und Intellektuellen eher abgelehnt wird, zumindest von solchen, die was auf sich halten: zuviel Masse, zuviel Kommerz.

Ein paar Tage zuvor hat man eigentlich keine Lust hinzugehen und gibt den Freunden recht, die die Parade wegen Verprollung inzwischen meiden. Samstag vormittag wird man dann plötzlich nervös und rast mit dem Fahrrad doch noch hin. Erster Eindruck: Alles ist ähnlich wie früher. Nur daß es eben jetzt stattfindet. Es wummert von weitem. Trillerpfeifen und Mineralwasser kosten fünf Mark. Jemand verkauft „Viagra-Eis“, ein anderer „Spaß-Kekse“. Am Rande steht ein Zelt, in dem es Lachgas gibt. Es sieht lustig aus, wenn die Leute mit bunten Ballons im Mund rumrennen.

Die Leute sind so schön und bunt wie im Fernsehen, nur anders. Ohne Weichzeichner und Slow- motion zum Beispiel. Die hunderttausend Gesichter, an denen man vorbeigeht, verwirren einen in ihrer total normalen Vielfalt, zu der man selber gehört. War man es nicht gewohnt, der Normalität zu unterstellen, sie sei einförmig? Manchmal bleibt man an einem Gesicht eine Weile hängen und geht dann zum nächsten.

Viele haben sich Herzchen auf die Wange gemalt. Manche trinken Jägermeister. Jemand ruft immer nur „Ficken“. Einige haben lustige T-Shirts an: „Born to be breit“ in Deutschlandfahnenfarben. „Jetzt die Sau rauslassen“. „Ich bin geil! Und du?“ „Sumsen ist buper.“ Rührend sind die vielen selbstbemalten Hemden, auf denen einfach nur Herzchen sind oder ein „Love“ bzw. „Liebe“. Oder auch: „Ich liebe dich!“ in rot auf dem weißen Hemd einer schönen Raverin. Das ist schön!

Eine Million Besucher erleben viele unterschiedliche Love Parades. Bei grober Sichtung ergibt sich eine Art Drei-Schichten-Modell: Privilegierte Raver auf den Wagen, Hunderttausende vermutlich, die eh nur am Rande gucken, und das Fußvolk. Wenn man klug ist als Fußvolk, rennt man mit dem ersten besten Wagen mit, der einem gefällt. Wenn man dumm ist wie ich, und alles sehen will, verliert man sich leicht in unglaublichen Menschenstrudeln und wird irgendwann immer wieder zu einem Wagen getrieben, der einem nun überhaupt nicht gefällt. Weil da einer so blödenrockmäßig eklig die Leute zu animieren versucht: „Say yeah, say yeah!“, „Let me hear you, louder, louder“, „Ihr seid absolut geil“. Solche Sachen.

Dazu regnet es immer wieder, und man hat nur ein T-Shirt an, das gleich durchnäßt ist. Auf einem Wagen hält jemand Handlungsanweisungsschilder hoch: „Stimmung!“, „Ficken“, „nicht tanzen“. Auf einem anderen versucht ein Mädchen, einem anderen die Brust zu entblößen, was ihr mißlingt. Vom Wagen des deutsch- französischen Jugendwerks her grüßt Frankreichs früherer Kulturminister Jack Lang, der eine Technoparade auch in Paris institutionalisieren will. Im September soll die erste stattfinden.

Auch die „Ordnungskräfte“ dürfen nicht passiv bleiben. Zwei junge Polizisten mit Sonnenbrille stehen auf einem Toilettenbau. Raver reichen ihnen ihre Fotoapparate hoch. Die Polizisten machen nichts anderes, als Raver zu fotografieren. Irgendwann beginnt der eine, wie Mick Jagger auf dem Dach des Toilettenhäuschen herumzuhopsen. Da freuen sich alle.

Viele telefonieren und erzählen ihren Freunden, die die Love Parade gerade zu Hause im Fernsehen angucken, wie es live so ist. Am schönsten sind die lachenden Gesichter der Leute: Das klingt blöd, aber eigentlich sagen alle nur: Wir sind da. Vielleicht ist das doch nicht so wenig.

Am Ende hält Dr. Motte („ich bin's – euer Dr. Motte“), der Vater der Love Parade, wieder eine Rede. Um dem politischen Charakter des Ganzen Genüge zu tun. Die Rede besteht aus Sätzen von ergreifender Schlichtheit, über die sich die meisten eher lustig machen. Motte spricht sich für Umweltschutz und „Miteinander“ aus – „denn die Zeit des Gegeneinander ist vorbei“. Außerdem sollten wir jetzt einen „liebevollen, fröhlichen und toleranten Umgang miteinander“ beginnen, des weiteren ein Beispiel geben „für ein globales Zusammenleben, beruhend auf Frieden, Mitgefühl für ein globales Zusammenleben“.

Das nehmen wir dann mit nach Hause. „Es ist unsere Zukunft. Vielen Dank.“ Vielen ist's peinlich. Im Fernsehen spricht man über die Ansätze zu einer neuen Religion, die irgendwie im Techno liegen würden. Überall wird dann in Berlin getanzt. Das ist schon toll.

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