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Rote Spitzel im grünen Bezirk

Heimatmuseum Köpenick zeigt erstmals exemplarisch die Stasi-Durchdringung eines ganzen Bezirks. Museumschef ist überrascht von der „Filigranität“ der Überwachung  ■ Von Ralph Bollmann

Auch wenn er das Köpenicker Heimatmuseum leitet, mag sich Claus-Dieter Sprink nicht nur mit der „Köpenickiade“ des Wilhelm Voigt befassen. Deshalb hat er gestern eine Ausstellung eröffnet, in der eine der Hauptpersonen nicht Wilhelm, sondern Harald Voigt heißt. Anders als der berühmte Hauptmann sonnte sich sein Namensvetter weniger gern im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Nicht einmal auf dem Stadtplan war das Gebäude eingezeichnet, in dem das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) seit 1962 seine Kreisdienststelle Köpenick untergebracht hatte. Dort war Harald Voigt dafür zuständig, den Rat des Stadtbezirks vor „feindlich-negativen Kräften“ zu beschützen.

Voigt ist jedoch einer der wenigen Offiziellen Mitarbeiter, deren Namen die Ausstellungsbesucher erfahren – sie stehen in einem vorproduzierten Faltblatt. In der Ausstellung selbst mußte Sprink auf Wunsch der Bezirkspolitiker kurz vor der Eröffnung alle Personennamen tilgen. Voriges Jahr hatten die Bezirksverordneten beschlossen, das Heimatmuseum möge die seit 1993 zusammengetragenen Dokumente über die Köpenicker Stasi endlich der Öffentlichkeit präsentieren. Ganz so genau hatten sie es aber offensichtlich doch nicht wissen wollen.

Sprink hat versucht, erstmals die Stasi-Durchdringung eines ganzen Bezirks exemplarisch offenzulegen. „Man wußte schon, daß sie präsent ist“, sagt er, „aber dieses Ausmaß, diese Filigranität hat mich doch überrascht.“ Mit roten Punkten hat er auf einem Stadtplan die MfS-Objekte markiert. Der Plan sieht aus, als hätte eine Pockeninfektion den Bezirk mit 145 Pusteln überzogen. Daß diese Zahl deutlich über dem Berliner Durchschnitt liegt, erklärt sich aus der Dominanz von Wald und Wasser: Rund ein Drittel der Objekte waren Sport- und Erholungsanlagen – schließlich durften sich hauptamtliche MfS-Mitarbeiter auch in den Ferien nicht unters gemeine Volk mischen.

Vollständig ist die Liste der konspirativen Wohnungen freilich nicht. „Das schärfste Haus haben Sie gar nicht drauf“, mußte sich der Museumsleiter gleich am ersten Tag von einem Besucher belehren lassen. Der hatte 1990 die Abhörzentrale in der Wendenschloßstraße in Augenschein genommen, um sie als Erholungsheim für das Rundfunkpersonal zu akquirieren.

Manche Wissenslücke erklärt sich daraus, daß die MfS-Mitarbeiter ihre Kreisdienststelle den Stasi- Auflösern „besenrein“ übergaben. „Köpenick war ein bißchen weit vom Schuß“, sagt Sprink, „da blieb viel Zeit, um Unterlagen zu vernichten“. Doch aus den Dokumenten beim Rat des Bezirks, die jetzt in der Gauck-Behörde lagern, ergebe sich ein „schlüssiges Bild“. Dabei war der Südosten Berlins gewiß keine Hochburg der Opposition, „Köpenick ist ja nicht gerade ein Szenebezirk“ – auch wenn die Stasi oft genug Anstoß nahm an „jungerwachsenen Personen mit dekadentem Äußeren (zumeist langhaarig, mit ausgewaschenen Jeanssachen)“. Wer sehen will, wie in Köpenick die Staatsmacht vorgeführt wurde, kann gleich im Rathaus bleiben. Im Erdgeschoß hat Sprink eine Ausstellung über den „Hauptmann“ Wilhelm Voigt installiert.

Die Ausstellung im 1. Obergeschoß des Rathauses Köpenick kann bis zum 12. August werktags von 10 bis 18 Uhr besichtigt werden.

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