Tschingderassabumm mit Jetlag

Wie authentisch ist New-Orleans-Jazz eigentlich jenseits des Mississippi? Das James Andrews Brass Project bei den Heimatklängen im Tempodrom  ■ Von Andreas Becker

Wenn einem in New Orleans die Großmutter wegstirbt, dann gibt's am Wochenende eine große Trauer-Party mit einem Straßenumzug, einer Brassband und ordentlich Tschingderassabumm.

Eine dieser Brassbands ist das James Andrews Brass Project, das in dieser Woche die Heimatklänge beehrt. Und so beginnt der Auftritt des neunköpfigen Trauervereins denn auch mit einem kleinen Working-March ums Zirkuszelt herum bis auf die Bühne. Fehlte nur der festlich geschmückte Sarg (die IG Metall hätte hier gut den „Sozialstaat“ in einem ihrer Demo-Pappsärge zu Grabe tragen können). Auf der Bühne angekommen, wirken die Mannen um James Andrews dann nach kurzer Zeit irgendwie hilflos herumstehend. Als könnten sie jede große Straßenkreuzung füllen, aber nicht diese Bretterkonstruktion.

Und plötzlich beginnt man sich zu fragen, ob das alles (siehe oben) nicht auch nur ein ziemlich dummes Klischee ist. War man nicht vor Jahren in New Orleans schon einmal auf der Suche nach den Wurzeln des Jazz in Touristenfallen getappt, die einem Billig-Dixie als frei improvisierte Musik andrehen wollten? Dort drüben, auf der anderen Seite des Flusses, findest du den Jazz und all die andere Musik, aber geh lieber nicht dorthin, als Weißer. Also hatte man sich feige auf den Deich am Mississippi gesetzt und gerätselt, wieso man die ganze Strecke im Greyhound von New York hergefahren war (in fünfunddreißig Stunden) für Musik, die man in Berlin hätte in der Eierschale erleben können. Die Fähre blieb aber trotzdem tabu. Die schwarze „Hood“ also ist einem (Weißen) bis heute überwiegend rätselhaft, weil unerschlossen geblieben. Trotzdem hat man bei diesem Jahrgang der Heimatklänge wesentlich mehr Qualitäts- Vergleichsmöglichkeiten, als beim Thema Indien oder Südafrika, weil man mit amerikanischer Musik sozialisiert ist. Und bis jetzt schneiden die Bands dabei leider eher unterdurchschnittlich ab. Der kiffende Cowboy, der hier in der vergangenen Woche fiddelte und blueste, konnte nicht so recht mit seiner oberrelaxten Art überzeugen.

Und das aktuelle Brass Project läßt den Druck und die Spielfreude vermissen, die als Funken ins Publikum überspringen könnten. Natürlich ist es nett und witzig, einem zwölfjährigen Posaunisten wie Troy Michael Andrews zuzuschauen, wie er mit einer Zirkusnummer die Leute begeistert. „Trombone Shorty“ hält gleich mehrere Minuten den Ton, als wolle er ins Guinness-Buch. Die ganze Truppe wirkt, als seien ihr all die Bleichgesichter im Publikum nicht so ganz geheuer.

Gleichwertiger Teil der Show wie bei einer Straßenparade werden hier Musiker und Zuschauer nicht. Und so tänzelt der dicke Mann mit dem Sonnenschirm, der normalerweise den Umzug anführt, deplaziert zwischen den Musikern umher. Um sich nützlich zu machen, übernahm er schon mal auch Roadie-Aufgaben, trug eine Trommel zum Schlagzeuger oder reichte einem Kollegen nach dem Solo das Handtuch zum Schweiß abtrocknen. Und so klammert sich der Blick denn auch an die Originale auf der Bühne. – „Oh when the saints go marchin' in“ durfte dann auch nicht fehlen.

Einer der Musiker fragte mich nach dem Konzert nach einer Zigarette, er wirkte wie ein Mann, der gerade von der Fabrikarbeit zurückkommt. Und so gab es nach dem Konzert hinter der Bühne auch kein nettes Happening mehr – vielleicht laborierte man noch am Jetlag. Die Musiker verkrochen sich schnell in ihren Bus zum Hotel und gingen (wahrscheinlich ohne sich zu betrinken) ins Bett. Hoffen wir auf besseres Wetter – und auf einen lustigen Pappsarg.

James Andrews Brass Project – Wild Brass bei den Heimatklängen, Fr. bis Sa. 21.30 Uhr, So. 16 Uhr im Tempodrom, in den Zelten