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Hund ist wichtig

Aufstehen. Spät aus dem Bett. Erstmal ein Bier. Danach den Hund füttern und raus zum Schnorren. Oder zum Möbelschleppen, wenn alles zu spät ist. Vielleicht fängt er auch an, seine Wohnung zu putzen. Hört Musik. Oder verreist nach Hiddensee. Wie dem auch sei: Ein Punk lebt anders. Meinen Menschen, die Angst haben. Aber wie leben Punx eigentlich wirklich? Beobachtungen aus Berlin  ■ Von Reinhard Krause (Text) und Volker Sonderhoff (Fotos)

Eine Seitenstraße der Bernauer Straße in Berlin. Schwer zu sagen, wo hier die ehemalige Sektorengrenze verlief. Aus einem offenen Erdgeschoßfenster dringt laute Punkmusik. Auch auf das zweite Klingeln folgt keine Reaktion. „Ricky!“ Es hilft nichts. Zum Glück gibt es unter dem Fenster einen Mauersims, über den man mit ein wenig Turnerei in die Wohnung blicken kann. Und da steht er: Ricky, Punk, gerade achtzehn geworden.

„Am Nachmittag“, sagt Ricky und weist mit vager Handbewegung um sich herum, „muß ich hier noch mal durchputzen. Fegen, wischen und so.“ Nach soviel Pflege sieht die Wohnung eigentlich nicht aus. Die wenigen Möbel sind Sperrmüll – Besitz, der nicht belastet. „Die Sachen werde ich bei Freunden unterstellen.“ Es ist Rickys letzter Tag in der Jugend-WG. Das Jugendamt von Fürstenwalde, wo seine Mutter seit ein paar Monaten wohnt, will nicht über die Volljährigkeit hinaus für seine Unterbringung zahlen. Jetzt wird er erst einmal bei Freunden wohnen, mal hier, mal da, wie es gerade paßt. Sorgen macht er sich deshalb nicht.

Im Auftun improvisierter Bleiben hat Ricky langjährige Erfahrung. Mit dreizehn hat er mit Freunden ein paar Möbel aufgetrieben und damit ein Zimmer in einem leerstehenden Haus in der Pfarrstraße ausgestattet. Ein Refugium für langweilige Nachmittage und erste Nächte außer Haus.

Die Punkszene lernt er mit vierzehn kennen. In der „Laube“, einem Ostberliner Szenetreff, leben Skins, Punks und Hippies in freundschaftlicher Koexistenz. „Da hab ich saufen gelernt.“ Andere Drogen sind dort verpönt. Die Älteren kümmern sich um den Nachwuchs, erzählen von ihren Abstürzen, sagen, daß man sich von der Junkie- und Kokaszene besser fernhalten sollte.

Die Mutter zieht mit ihrem Sohn und den zwei jüngeren Schwestern nach Berlin-Spandau. Hier findet Ricky Anschluß an eine Türkengang. Aber auch zu seinen alten Freunden im Ostteil der Stadt hält er Kontakt.

Die Mutter reagiert zunehmend gereizt auf Rickys Freunde. Als Friedensangebot macht sich Ricky „zum Klops“, saugt und wischt die Wohnung, wenn die Freunde aus der Wohnung sind. Auf das Lob – „Sieht ja toll aus!“ – folgt die Demütigung: Die Mutter putzt alles noch einmal, als sie erfährt, daß die unerwünschten Freunde wieder in der Wohnung waren.

Immer häufiger kommt Ricky nur noch nach Hause, um sich um seine kleinen Schwestern zu kümmern. Auf die morgendliche Versorgung seiner Schwestern ist Verlaß – die Zeiten freilich, zu denen er in der Wohnung seiner Mutter erscheint, sind unorthodox. Hat die Mutter Frühschicht und verläßt das Haus um vier Uhr in der Früh, kommt Ricky um fünf und bringt die Schwestern pünktlich um sieben zur Kita. Eines Morgens begleitet ihn ein Freund zu den Schwestern. Da ruft die Mutter an und weist beide aus der Wohnung. Sie wendet sich ans Jugendamt.

„Meine Mutter“, sagt Ricky, „wollte eigentlich vom Jugendamt hören, daß ich im Unrecht bin und daß ich ein bißchen mehr auf sie hören sollte. Aber das Jugendamt meinte, ich müsse in eine WG. Da war meine Mutter stinksauer. Seitdem hab ich sie vielleicht fünfmal gesehen in den letzten anderthalb Jahren.“

Zunächst wohnt Ricky in einer Zweier-WG in der Fehrbelliner Straße. Mit seiner Mitbewohnerin gibt es Meinungsverschiedenheiten wegen der Lautstärke – und wegen der Haschischschwaden, wenn Ricky Besuch hat. Zu dieser Zeit nimmt Ricky alle Drogen, die ihm in die Finger kommen. Das Geld dafür schnorrt er, oder er verdient es sich über die Jobbörse.

Ein halbes Jahr ist es her, da wuchsen ihm Bier und halluzinogene Pilze über den Kopf. „Ich hab den Film meines Lebens geschoben. Ich habe alle Leute von ganz weit oben gesehen. Alles, was um mich herum vor sich ging, habe ich gesehen und gehört. Das war viel zu viel für mich. Dann bin ich aufs Klo, Finger in den Hals, hab mich ausgekotzt, Wasser getrunken, wieder gekotzt. Dann bin ich umgekippt, lag da mit 'nem dicken Hals und dachte, ich ersticke. Da hab ich mich selbst von oben liegen gesehen. Seitdem kann ich nicht mehr kiffen, das macht mir keinen Spaß mehr. Bei mir im Kopf macht's dann nur noch knack-knack. Also laß ich es.“

Seit einer Alkoholvergiftung mit fünfzehn läßt Ricky von Hochprozentigem die Finger. Aber auch vom Bier stellt sich manchmal ein „Abtörn“ ein. „Alles dreht sich, du hast Durst und kriegst den Flattermann, dann höre ich freiwillig eine Woche auf, weil ich mir sage, das ist zu heftig.“

Im letzten Dezember hat Ricky eine Lehre als Elektroinstallateur begonnen, dann aber wieder abgebrochen: „Nach ein paar Monaten habe ich mitgekriegt, ich lerne da nichts Neues. Alles, was wir da lernten, hatte ich schon auf der Berufsschule, wo ich meinen Realschulabschluß nachgemacht hab. Da hab ich mir gesagt: Noch drei Jahre machst du das nicht mit, nur rumhängen und nie auf eine Baustelle.“ Seitdem geht er wieder zur Jobbörse oder zum Schnorren.

Seinen Vater, der in der Nähe von Stockholm lebt und arbeitet, hat Ricky mit fünfzehn Jahren zum ersten Mal gesehen. Der Kontakt war unkomplizierter, als von beiden Seiten erwartet. Vor einiger Zeit hat der Vater den Vorschlag gemacht, Ricky könne in diesem Jahr zu ihm nach Schweden ziehen und dort eine Ausbildung zum Bühnentechniker absolvieren. Einen ernsthaften Versuch, findet Ricky, ist es wert.

Gefragt nach seinen persönlichen Perspektiven, bekommt er leuchtende Augen und fährt sich mit der Hand über die kurze Irokesenfrisur. „Mein Alter meint, daß er mir im nächsten Jahr den Führerschein für Lkw bezahlen will.“

Am Ende sagt er: „Mein Traum wäre, mir eine alte Feuerwehr zusammenzusparen oder einen alten Russenwagen. Wenn das mit meinem Alten nicht klappt, komme ich erst mal zurück und kaufe mir einen Bauwagen. Dann würde ich am liebsten mit Zugmaschine und Bauwagen in den Süden fahren – auf alle Fälle raus aus Deutschland. Aber so drei, vier Jahre will ich es eigentlich schon in Schweden aushalten.“

Reinhard Krause, geboren 1961, lebt und arbeitet als freier Autor in Hamburg. Er schreibt regelmäßig für die taz, zuletzt über Caterina Valente und Bruce Lee.

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