: Helden auf allen Kanälen
■ Von beleidigten Leberwürsten: Willi Winklers Bestiarium „Alle meine Deutschen“
Was haben Dieter Bohlen, Wolf Biermann, Michael Born, Roman Herzog, Margarethe Schreinemakers, Frank Castorf, Dieter Thomas Heck, Helmut Markwort, Leo Kirch, Ulrich Wickert und Günter Grass gemeinsam? Daß man keinem einen Gebrauchtwagen abkaufen möchte? Vielleicht.
In jedem Fall aber die Tatsache, daß sie als Gegenstand ernsthafter Kritik nicht mehr taugen. Weil sie aber auf allen Kanälen herumtanzen und deshalb nicht einfach ignoriert werden können, hat Willi Winkler sich ihnen auf die vielleicht einzig mögliche Art genähert: mit der Begeisterung eines Feldforschers, der uns die Welt der gewöhnlichen Graugans einmal ganz anders erklärt.
„Alle meine Deutschen“ heißt das Buch, auf das zur Erinnerung an den Kinderreim eine Ente aufgeklebt wurde. Willi Winkler nimmt in diesem „Bestiarium“, wie der Untertitel lautet, eine abstruse und willkürliche Typologie der aufdringlichen Deutschen vor, die jedoch nicht sehr ernst gemeint und schließlich auch nicht abstruser ist als die Geschichten, die er über die öffentlichen Warner und Mahner, Jingler und Jengler zu erzählen weiß. So mag man sich fragen, warum ausgerechnet der „Existentiallyriker“ Dieter Bohlen, der sich „hauptberuflich mit den letzten Dingen, mit Sehnsucht, Liebe, Schmerz, Verlangen“ beschäftigt, ein „Held unserer Zeit“ sein soll, der immer für das Gute kämpft und für Gerechtigkeit sorgt. Aber wenn man einmal von derlei Petitessen absieht, liest sich das Boulevarddrama mit Dieter Bohlen, Verona Feldbusch und „Naddel“ in den Hauptrollen höchst amüsant.
Als modernes Märchen jedenfalls mag man den damals unter großer Anteilnahme von der Bild- Zeitung geführten Ehekrieg gern noch einmal lesen, ebenso wie die grandiose Moritat vom „ersten Wolf, der singen kann: Wolf Biermann“, auch wenn man des „Zupfgeigenhansls“ schon etwas überdrüssig geworden ist. Biermanns Biographie bekommt jedoch in der Bearbeitung von Willi Winkler Glanz und Gloria: „Er agitierte bei Joachim Fuchsberger, klampfte linksmelancholisch bei Thomas Gottschalk und schwadronierte klassenkämpferisch bei ,Dingsda‘. Damit hatte er sich schließlich ausreichend für die Literatur qualifiziert, so daß der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung gar nichts anderes übrigblieb, als den bedeutendsten deutschen Literaturpreis an den ,mutigen Liedermacher und Pamphletisten und den Schöpfer einer neuen politischen Prosa‘ zu vergeben. Muß man es erwähnen? Die deutsche Literatur hat sich von dieser Ehre bisher nicht erholt.“
Roman Herzog ist ein weiterer Fall für Willi Winkler, der es versteht, auch dem größten Blödsinn noch prickelnden Witz abzugewinnen: „Helmut Kohl war mal in Hölderlin gut, aber das ist gar nichts gegen Herzog, der bei Heine zur Klassenprimusform aufläuft und als Dialektiker brilliert: ,Heimatliebe heißt schließlich nicht Kritiklosigkeit.‘ Wurstsalat ist auch kein Pressack, möchte man begeistert einfallen...“
Plötzlich wird es unruhig im Bestiarium. Dieter Thomas Heck ruft vorlaut dazwischen: „Ich bin ein Mythos!“ Der von der ebenso üblen Schweinepresse wie -welt gequälte Dichter Botho Strauß, der schon zu Lebzeiten als „beleidigte Leberwurst“ in die Literaturgeschichte eingegangen ist, schnippt mit der Fernbedienung und entdeckt „überall nur Schrott im TV“. Der „Allerweltsschriftsteller“ Peter Glotz pumpt sich mächtig auf, und auch nicht übergangen werden will der „Erregungsbeamte“ Peter Schneider, während der „ARD- Nachtwächter“ Ulrich Wickert ungeduldig mit den Fingern trommelt, weil er endlich wie jeden Abend zur „Tagesthemen“-Zeit sagen will, daß ihn „die Sorge ums Gemeinwesen“ umtreibt.
Da fehlt dann nur noch Günter Grass. Als tapferes Schneiderlein hat er sich „so ziemlich jedes Problem dieser Welt aufgeladen: die Überbevölkerung, den Hunger, das Waldsterben, den Feminismus, die Asylgesetzgebung, die Gewerkschaftsbewegung, den Rechtsradikalismus und die Sinti und Roma“. Jetzt spricht er urbi et orbi und verliest das „Wort zum Sonntag“.
Da klappen wir, schmunzelnd über das aufgeregte Schnattern, das Buch zu und legen es vorsichtig in die erste Buchregalreihe – als Trost und als Rache-ist-süß-Buch für den Fall, daß uns all die aufdringlichen Gecken wieder einmal auf die Nerven gehen. Klaus Bittermann
Willi Winkler: „Alle meine Deutschen. Ein Bestiarium“. Alexander Fest Verlag, Berlin 1998, 160 Seiten, 39,80 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen