: Dabeisein, um zu arbeiten
Wenn es heute bei der 85. Tour de France in die Pyrenäen geht, schlägt nicht nur die Stunde der Favoriten, sondern auch die solch ergebener Helfer wie Jens Heppner ■ Von Mirjam Fischer
Vom Klettern muß er etwas verstehen: der ideale Helfer für die schweren Bergetappen der Tour de France. Einer nach dem anderen wird sich heute in den Pyrenäen über den ersten Zweitausender der Tour wuchten. Vorneweg die bergerprobten Adjutanten, im Schlepptau die Favoriten: Jan Ullrich, Abraham Olano, Laurent Jalabert, Bjarne Riis, Marco Pantani, Bobby Julich, eine Zeitlang vermutlich auch Laurent Desbiens, der sein Gelbes Trikot gestern auf der 9. Etappe von Montauban nach Pau, die der Niederländer van Bon vor dem Berliner Jens Voigt gewann, verteidigte und die Pyrenäen mit 3:21 Minuten Vorsprung vor Ullrich in Angriff nimmt.
In 2.115 Metern Höhe, am Col du Tourmalet, 76 Kilometer vor dem Ziel in Luchon, werden sich zwanzig, vielleicht auch 25 Mann vorne abgesetzt haben. „Und die holt keiner mehr zurück“, sagt Jens Heppner. Zu diesem Zeitpunkt hat der Allrounder aus dem Team Telekom seinen Job vermutlich längst getan, und es sind die Spezialisten für die letzten Höhenmeter an der Reihe: Udo Bölts und Georg Totschnig zum Beispiel.
Der Col d'Aubisque, erste große Erhebung der heutigen 10. Etappe, ist mit der schwerste Berg der Tour. Und das erste gute Beispiel dafür, wieso Telekoms Teamchef Walter Godefroot den 33jährigen Jens Heppner bereits das siebte Mal mit nach Frankreich nimmt. „Das Schlimme an dieser Etappe ist, daß sich die erste Wand kaum 30 Kilometer nach dem Start schon vor dir aufbaut“, sagt der Geraer. Jan Ullrich will gut geschützt vor den Angriffen der Gegenspieler mindestens an vierter oder fünfter Position den Berg angehen. Ohne Federn zu lassen, versteht sich. Heppners Spiel: Ist der Anstieg zum Col d'Aubisque 18 Kilometer lang, setzt er sich sein Ziel angenommen bei Kilometer 4 und tritt in die Pedale. Bis zum Anschlag fährt er, absolut in den roten Bereich. Er sagt, er denke nicht darüber nach, wie es ihm danach gehe. Als wäre der Teufel hinter ihm her, gewinnt er Meter für Meter Boden für seine Kapitäne. Was der Tour- Zehnte von 1992 vorlegt, soll das Peloton nicht überstehen.
Am 28. Juli, auf der 16. Etappe von Vizille nach Albertville mit dem Col de la Madeleine, steht die letzte harte Bergprüfung auf dem Programm – 1.500 Höhenmeter, verteilt auf 20 Kilometer. Heppner sagt, wenn das vorbei sei, hätten sie das Übelste hinter sich. Auf der Madeleine-Etappe darf keiner einen schlechten Tag erwischen, nicht die Favoriten, nicht die Helfer. „Wer hier nicht an vorderster Stelle über die Rampen jagt, kommt runterwärts nicht mehr ran“, erinnert sich Heppner. „Wenn die Spitzenfahrer merken, daß einer ihrer Konkurrenten nicht dabei ist, geben die erst recht Gas, wenn es bergab geht.“
Heppner ist 1997 bis fünf Kilometer vor dem Madeleine-Gipfel vorne mitgekommen. Dann war die Luft raus. Einsames Helferschicksal, bis ihn die nächste größere Gruppe eingeholt hatte. Hinterrad an Hinterrad wollten sie die zwölf Prozent Karenzzeit auf den Sieger einhalten. „Keiner hatte mehr Moral“, sagt Heppner, „aber wir mußten zufahren, damit wir nicht aus der Wertung genommen wurden.“ Am letzten Berg, 25 Kilometer Anstieg, hatten ihnen die Zuschauer zugerufen: „Halbe Stunde noch.“ „Normalerweise rechnet man eine Minute pro Kilometer“, sagt Heppner, „nur, wenn man nicht mehr kann und man soll eine Minute pro Kilometer schaffen – das tut weh“.
In den Bergen zeigt sich, wie die Tour an ihnen zehrt. Am einen mehr, am anderen weniger. Marco Pantani wird an den Pyrenäen- und Alpenpässen wieder attackieren, was das Zeug hält. Und auch Abraham Olano wird voll und ganz auf seine starken Bergfahrer setzen. Ein Grund, warum Godefroot diesmal lieber Zabels Sprinthelfer Giovanni Lombardi zu Hause ließ und dafür seinen neuen Kletterer Francesco Frattini mitnahm. Der soll Bölts und Totschnig helfen, wenn Heppner oder Telekoms zweiter Allrounder Christian Henn nach Wachablösung pfeift. Der Italiener war bei der Route du Sud mit Ullrich die elfte Tour- Etappe, den zweiten markanten Pyrenäenabschnitt, abgefahren, und sie hatten hinauf zum Plateau de Beille alle hinter sich gelassen.
Auch deshalb ist Ullrich für Heppner der große Favorit der Tour. Weil seine Form stetig gestiegen sei, während man bei manchem Konkurrenten ein ständiges Auf und Ab beobachtet habe. Pantani? Ein zweiflerisches Kopfschütteln Heppners sagt in diesem Fall mehr als Worte. An Überraschungen glaubt er nach sieben Profijahren nicht mehr. „Olano wird sehr gut fahren“, sagt Heppner, „und seine Helfer sind noch besser als ihr Chef.“
Für Jan Ullrich, Jens Heppner und das Team Telekom geht es um den Sieg, aber auch darum, daß das Geschäft floriert. „Wir werden mitgenommen, um dort zu arbeiten, und werden dafür bezahlt, die Sache gut zu machen“, sagt Heppner. Schließlich sei die Tour auch die Tour, weil es dort viel Geld gibt. Vergangenes Jahr für den Toursieg 700.000 Mark, die haben sie sich redlich geteilt. Auch deshalb freut sich einer, in Frankreich fahren zu dürfen. Besonders, wenn ihm das Glück so hold ist wie Jens Heppner auf der 3. Etappe, als ihm in Lorient bei seiner siebten Tour- Teilnahme endlich der erste Tagessieg gelang.
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