: Rasanter Kurswechsel über Lockerbie
■ Zehn Jahre nach dem Anschlag auf einen Jumbo über Schottland stimmen die USA und Großbritannien einem Prozeß in Den Haag zu. Araber sprechen von einem Sieg Libyens
Kairo (taz) – Nach jahrelanger Blockade kommt Bewegung in die Lockerbie-Affäre. Zehn Jahre nach dem Bombenanschlag auf einen Jumbo der US-Fluggesellschaft PAN AM über der schottischen Ortschaft Lockerbie, bei dem 268 Menschen ums Leben kamen, könnte es nun doch zu einem Prozeß gegen die zwei mutmaßlichen libyschen Attentäter kommen.
Die niederländische Regierung bestätigte gestern, daß Großbritannien und die USA angefragt hätten, ob ein Prozeß vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag möglich sei. „Wir hatten Gespräche, wie wir in der Angelegenheit vorankommen können“, erklärte eine Sprecherin des Außenministeriums.
Zuvor hatte der britische Guardian berichtet: Die USA und Großbritannien würden nun einem Prozeß auf neutralem Boden, aber nach schottischem Recht zustimmen. Bisher hatten beide Regierungen auf einem Verfahren in den USA oder Schottland bestanden. Libyen hatte eine Auslieferung der Verdächtigen an ein „neutrales Gericht“ angeboten. Die beiden, Abdal Basset al-Megrahi und Lamin Chalifa Fimah, sind nach Angaben US-amerikanischer und britischer Ermittler Agenten des libyschen Geheimdienstes.
US-Präsident Bill Clinton bestätigte indirekt den neuen Vorschlag: „Wir studieren die Angelegenheit, aber wir wissen noch nicht genau, ob es möglich ist.“ Ein Sprecher des US-Außenministeriums wurde deutlicher. Es sei eine „kreative Alternative“, die zeigen werde, wie ernst es Libyens Staatschef Muammar al-Gaddafi mit dem Auslieferungsangebot meine.
Jim Swire, Sprecher der Angehörigen der britischen Opfer, schrieb in einem gestern veröffentlichten Leserbrief an den Guardian: „Wir sind erstaunt und gespannt.“ Die Entwicklungen seien für die Verwandten „völlig überraschend“ gekommen, aber nichtsdestotrotz zu begrüßen. Laut Guardian sollen US-amerikanische Verwandte sogar per Telefon von US-Außenministerin Madeleine Albright und US-Sicherheitsberater Sandy Berger aufgefordert worden sein, einem Prozeß in Den Haag zuzustimmen.
In Libyen herrschte bis gestern noch Funkstille zu der Angelegenheit. Bisher, so ein Sprecher der Arabischen Liga in Kairo, wurden weder Libyen noch die Arabische Liga in der Angelegenheit kontaktiert. Dennoch charakterisiert die Liga die neue Entwicklung als „einen politischen und diplomatischen Sieg für die Araber“. Das bedeute zwar nicht das Ende der Krise, erklärte ein Sprecher der Organisation. Jedoch müßten jetzt die juristischen Debatten beginnen, wie eine Gericht von Schottland in die Niederlande verlegt werden kann. Auch die in London produzierte arabische Tageszeitung al-Hayat beschreibt die neuen Vorschläge als einen „Sieg der libyschen Positionen“.
Ein Grund für diese sich nun abzeichnende Wende könnten die zunehmenden Schwierigkeiten sein, die die Durchsetzung des Embargos gegen Libyen bereitet. Das Embarogo wurde vom UN-Sicherheitsrat verhängt, nachdem Libyen sich geweigert hatte, die vermeintlichen Attentäter auszuliefern. Vor allem von den arabischen und afrikanischen Nachbarn wurde das Embargo in den letzten Wochen immer weiter aufgeweicht. Die Organisation Afrikanischer Einheit OAU hatte letzten Monat verkündet, die Sanktionen in Zukunft ignorieren zu wollen. Mehrere afrikanische Staatschefs machten seitdem Gaddafi per Flugzeug die Aufwartung. Erst am Montag war der Präsident Bukina Fasos, Blaise Campaore, auf dem Luftweg zu einem zweitägigen Staatsbesuch nach Libyen gereist. Auch der ägyptische Staatschef Hosni Mubarak war demonstrativ vor zwei Wochen nach Libyen geflogen – allerdings nicht, ohne sich zuvor der Zustimmung des UN-Sicherheitsrates zu versichern. Karim El-Gawhary
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