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Die Geschäfte des Herrn Salm

Zu acht im kakerlakenverseuchten Zimmer: Ein Finanzgerichtsurteil enthüllt, wie im idyllischen Neustadt an der Weinstraße mit Asylbewerbern Gewinn gemacht wurde  ■ Von Hilmar Höhn

Neustadt an der Weinstraße, das ist so ein hübsches Städtchen. Mit fünfzigtausend Einwohnern. Niedrige Bürgerhäuser und schmale Gäßchen prägen die Innenstadt. Um Neustadt herum steigen die Hänge des Pfälzer Waldes an, am Fuß wachsen Reben, zweihundert Meter über dem weiten Rheintal reichen der Boden und das Klima nur noch für dürren Tannenwald. In der Stadt geht es gelassen-geschäftig zu. Auch an Werktagen sind die Straßen voller ländlicher Flaneure, die Ladenbesitzer machen Geschäfte. Überdies lebt man in Neustadt recht gut von der Verwaltung. Hier ist der Sitz der Bezirksregierung von Rheinhessen-Pfalz. Fast scheint es, daß der Takt der öffentlich-rechtlichen 35-Stunden-Woche auch der Takt des Lebens hier ist.

Man ist stolz in der Stadt. Stolz auf eine selten gewordene Tugend. Während Kommunen, Länder und der Bund kaum noch wissen, woher sie das Geld für den Bau von Kindergärten und Straßen nehmen sollen, schmilzt der Schuldenberg des Städtchens in der Südpfalz dahin. In wenigen Jahren von 180 auf nur mehr 120 Millionen Mark, kann man in Rathaus erfahren. Und noch besser: Jahr für Jahr erwirtschaftet die Gemeinde in dieser – vornehm ausgedrückt – eigentlich strukturschwachen Gegend Gewinn.

Man müßte meinen, dieses sei ein sparsames Völkchen, bedacht darauf, mit Soll und Haben geschickt zu jonglieren – hätte nicht unlängst das Finanzgericht des Landes Rheinland-Pfalz auf den bemerkenswerten Fall des Steuerbürgers Jürgen Salm aufmerksam gemacht.

Salm ist ein Versicherungsagent mit Büros an prominenter Stelle, gegenüber dem Hauptbahnhof. Ein Mann, den man in Sachen Geld als erfahren betrachten kann. Und weil er – gemeinsam mit einem Verwandten – zudem im Immobiliengeschäft steckt, hat er eine Nase dafür, wo sich gerade günstige Chancen auftun.

Der Herr Salm war mit einem Bescheid des örtlichen Finanzamtes gar nicht einverstanden. Es ging um die Frage, ob man als Vermieter von Wohnräumen für Flüchtlinge die Miete zu versteuern hat, wenn man gleichzeitig die Verpflegung der Schutzsuchenden übernimmt und schon für die Einkünfte aus dieser Tätigkeit Steuern zahlen muß. Das Finanzgericht hat entschieden, beides muß versteuert werden. Und weil die Richter ihr Urteil (Az.: 3K 1709/96) für grundsätzlich hielten, veröffentlichten sie ihren Spruch. Freilich, die Namen und Orte sind geschwärzt. Doch ist Rheinland-Pfalz ein so überschaubares Land, daß nicht geheim bleiben kann, was da zum Geheimnis erklärt werden soll.

Das Urteil allerdings ist weniger von Bedeutung für die Öffentlichkeit als die Angaben, die Herr Salm da vor den Richtern gemacht hat. Denn da kommt heraus, daß der Versicherungskaufmann ein Haus aus seinem Bestand in den Jahren 1992 und 1993 zur Unterbringung von Flüchtlingen an die Stadt Neustadt vermietet hatte. Pro Flüchtling war die Gemeinde bereit, 1.160 Mark für Unterkunft und Verpflegung zu zahlen. Dabei garantierte sie dem Vermieter gleich die Zahlung für mindestens fünfzig Flüchtlinge. Das ergab die hübsche Monatspauschale von 58.000 Mark.

1992 also erklärte Herr Salm dem Finanzamt, er habe aus seiner Vermietertätigkeit einen Umsatz von 832.396 Mark erzielt, woraus er einen Gewinn von 419.849 Mark darstellen konnte (wobei er aber nur für jede zweite gewonnene Mark Steuern zahlen wollte). Wer sich privat engagiert, soll ja seinen Gewinn machen, so funktioniert das Leben in dieser Republik nun einmal. Aber eine Umsatzrendite von fünfzig Prozent, das grenzt denn auch schon fast an Wucherei.

Deshalb empfiehlt es sich, in die Winzinger Vorstadt hinauszufahren, um sich das Haus Winzinger Straße 93 anzusehen. Das Gebäude liegt inmitten eines geräumigen Gartens, umgeben von Obstbäumen auf einer leichten Anhöhe über Neustadt. Es ist ein altes Haus mit hohen Decken und Fenstern, zwei Geschossen, zur Talseite schließt sich ein Wintergarten an. Eigentlich ein Kleinod, mit der kleinen Einschränkung, daß die Fenster im ersten Stock heute geborsten und die Türen und Fenster im Parterre vernagelt sind. Doch daß hier fünfzig Flüchtlinge und mehr untergebracht waren, das ist nur schwer vorstellbar. Dafür ist das Haus, das einmal als Steuerbüro gedient hat, einfach zu klein.

Und so ergibt die Nachfrage bei Winfried Wiegräbe, heute Vorsitzender des örtlichen Arbeitskreises humanitäre Hilfe für Asylbewerber in Neustadt, daß die Unterbringung der Menschen in der Winzinger Straße „einfach unmenschlich“ war.

So sagt es auch Eva Kamenetzky, Wiegräbes Vorgängerin, die zu Zeiten des Hochbetriebs im Hause Winzinger Straße 93 mehrfach dort zu Besuch war, unter anderem mit einer Kommission von amnesty international. „Die Unterkunft war katastrophal und schmutzig.“ Die Betten, die Spinde, alles sei nur so hingeposselt gewesen. Von Kakerlaken habe es gewimmelt. Die kleinen Zimmer seien mit bis zu acht Leuten überbelegt gewesen. Der Aufenthaltsraum, den Salm – so der Urteilstext – eingerichtet haben will, habe aus einer Bierzeltgarnitur bestanden, erinnert sich Eva Kamenetzky. Daß mit der Vermietung „gute Gewinne“ gemacht worden seien, „das haben wir geahnt“. Jetzt, da sie die Zahlen schwarz auf weiß nachlesen kann, sagt sie: „Salm hat die Notlage schamlos ausgenutzt.“ Und den Verantwortlichen der Stadt war trotz des üppig bemessenen Entgeltes scheinbar egal, wie es den Asylbewerbern ging.

Bleibt die Frage, wieso denn in dieser aufgeräumten Stadt so anhaltend miese Lebensbedingungen für Flüchtlinge akzeptiert wurden. Also steigt man hinauf in den dritten Stock jenes Hauses, in dessen Erdgeschoß das Sozialamt untergebracht ist und wo oben, in lichteren Räumen, Ingo Röthlingshöfer sitzt. Das ist der Sozialbürgermeister der Stadt. Zwar sei er nicht mehr verantwortlich für Verträge aus dem Beginn der 90er Jahre. Doch ist er „voller Verständnis“ für die „extreme Notlage“, die damals in Neustadt geherrscht hatte. Wo es doch einfach keine Wohnungen gab.

„Nicht, daß wir nicht gewußt hätten, daß da ein guter Gewinn gemacht worden wäre“, erinnert sich Werner Niederberger, heute wie damals im Sozialamt zuständig für die Flüchtlinge in der Stadt. Ja, man habe den Salm sogar ein paar Mark runtergehandelt. Und außerdem habe man, nachdem Klagen gekommen waren, die Unterkunft vom Ungeziefer gereinigt, sagt Niederberger. Aber tatsächlich gekümmert hat man sich nie um die Flüchtlinge. Hauptsache, die Finanzen stimmten. Da ist man angesichts der durch das veröffentlichte Urteil zutage getretenen Zahlen vielmehr stolz, daß man im Land nicht einmal zu den teuersten Mietern in Sachen Flüchtlingen gehört habe. „Bis zu 1.500 Mark haben andere Städte für Flüchtlinge gezahlt“, sagt Röthlingshöfer. In einem entsprechenden Untersuchungsbericht des Landes Rheinland-Pfalz tauche Neustadt an der Weinstraße nicht auf.

Was allerdings kein Grund ist, besonders stolz zu sein. Bekommt man doch am Beispiel des Vermieters Salm eine Ahnung davon, wie einzelne Bruchbudenbesitzer in Deutschland Anfang der 90er Jahre abgesahnt haben.

Jürgen Salm hat das ja vor Gericht auch zugegeben. Wahrscheinlich sagte er so frei aus, weil er vermutete, daß sein Fall die Öffentlichkeit nie beschäftigen würde – tagen doch die Finanzrichter unter Ausschluß der Öffentlichkeit. So aber steht nun im Urteil, er habe gesagt: „Wenn im Mietvertrag von ,Betreuung der untergebrachten Personen‘ die Rede sei, so sei dies irreführend; es sei lediglich die (von ihm) eingestellte Frau für die Abwicklung des Essens zuständig gewesen.“ Und auch diese Tätigkeit darf man sich nicht als allzu üppig vorstellen. Essen gab es bei Salm nur einmal am Tag, es habe „nachmittags eine warme Mahlzeit sowie ein Lunchpaket für den nächsten Morgen gegeben“. Einmal die Woche, sagte Jürgen Salm den Richtern (denn trotz Anrufen und Fax spricht er mit der Presse nicht) sei er aber dagewesen.

Ende 1993 dann änderte die Stadt die Tarife. Zunächst zahlte sie nur noch 960 Mark pro untergebrachtem Flüchtling und von April 1994 an nur noch 700 Mark. Aus eigenem Antrieb war dies aber nicht geschehen. Vielmehr war die Landesregierung in Mainz nicht länger bereit, den Kommunen noch länger Phantasiepreise für Flüchtlingsunterkünfte zu erstatten.

Heute habe sich die Situation in der Stadt gebessert, freut sich Ingo Röthlingshöfer. Von Wohnungsnot könne keine Rede mehr sein. Bis Ende 1996 habe das Land vor den Toren der Stadt in einer ehemaligen „Franzosen-Kaserne“ eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge mit zeitweise tausend untergebrachten Menschen betrieben, deshalb müsse die Stadt derzeit keine Flüchtlinge unterbringen.

Nun, sonderlich beliebt sind die Flüchtlinge in Neustadt an der Weinstraße ohnehin nicht. Asylbewerber müssen sich in einem städtischen „Sozialladen“ mit dem Lebensnotwendigen versorgen. Sozialbürgermeister Röthlingshöfer erklärt die Haltung der Stadt so: „Bei einer Ablehnungsquote von 94 Prozent will ich diese Leute doch gar nicht erst glauben machen, daß sie hier wie normale Bürger leben könnten.“ So gesehen paßte die Salm-Unterkunft in der Winziger Straße ganz gut in die Flüchtlingsbetreuung nach Neustädter Art.

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