: Wieland Wagner konnte nicht küssen
Es wagnert wieder bei den Festspielen in Bayreuth, aber eine indiskrete Biographie über die kürzlich gestorbene Wieland-Witwe Gertrud wühlt die Wagnerianer auf. Ein Kleinkrieg um Bücher, juristische Scharmützel und die Privatheit einer öffentlichen Familie ■ Von Manfred Otzelberger
Im Bücherpavillon auf dem grünen Festspielhügel von Bayreuth sieht man den Konflikt sportlich: „Von Renate Schostacks Gertrud- Wagner-Biographie ,Hinter Wahnfrieds Mauern‘ haben wir 250 Stück verkauft. Von Nike Wagners Familiengeschichte ,Wagner Theater‘ nur 90.“
In der Bayreuther Buchhandlung „Gondrom“ begegneten sich die Rivalinnen am Dienstag dieser Woche, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Gertrud und Wieland Wagners Tochter Nike ist zu Schostacks erster Lesung gekommen, um an die Journalisten eine erneute Presseerklärung zu verteilen: „Wir sind auf Wunsch unserer Mutter gegen das Buch von Renate Schostack vorgegangen, weil Gertrud Wagner bei der Lektüre des Manuskripts der Autorin merkte, daß ihr Vertrauen mißbraucht worden war. Jeglich Äußerung, sie habe der Veröffentlichung der Arbeit zugestimmt, ist falsch. Zur Bekräfitgung ihres Widerstands erteilte sie unserem Rechtsvertreter eine gerichtliche Vollmacht. Da sie sich scheute, öffentlich aufzutreten, haben wir Kinder die Klage übernommen.“
Seit Mai steht Aussage gegen Aussage zwischen Renate Schostack und Gertruds Kinder, Nike, Daphne, Wolf Siegfried und Iris. Die Hauptperson, um deren Wohl, Vermächtnis und künstlerische Rehabilitierung es angeblich allen geht, kann nicht mehr reden: Gertrud Wagner ist tot, am 13. Juli, dem Tag, an dem ihre Biographie erschien, die sie dreißig Jahre im Herzen getragen hatte, erlag sie nach einem Sturz mehreren Schlaganfällen. Makabrer geht's nimmer. „Sie sagte vorher noch“, berichtet Nike Wagner, „,ich werde sterben, wenn das Buch erscheint.‘“ In der Trauerfeier hieß es vielsagend: „Sie hat das Gelingen ihres Buches befürchtet.“
Jetzt ruht die 81jährige im Wagnerschen Familiengrab auf dem Bayreuther Stadtfriedhof neben ihrem bereits 1966 verstorbenen Mann Wieland, dem sie in Haßliebe verbunden war. Wieland Wagner, das längst in den Regie-Heiligenstand erhobene mutmaßliche Genie des Musiktheaters, wird von Schostack, wie sie selbst einräumt, „herb kritisiert“. Es ist ein Sockelsturz. In einem Brief an Schostack vom 24. Mai 1998 hat Nike Wagner versucht, die Notbremse zu ziehen. Zuerst mit taktischem Lob: „Aufrichtige Gratulation für die Bewältigung des vielschichtigen Stoffs“, das Buch habe „faszinierende Qualitäten“ und „glänzende Partien“. Dann bat Nike „auf den Knien meines Herzens“ darum, das Buch noch einmal zu überarbeiten und zu verschieben. Das Bild ihres Vaters sei allzu negativ geraten: „Darf ich nur mal einen Abriß der Adjektive und Kennzeichnungen geben, die ihn hier charakterisieren? Finster, grimmig, mürrisch, der Vater mochte ihn nicht, beleidigt, gekränkt, fett, aggressiv, dick, Schläger, finster, nachtragend, bestraft andere mit seinem Schweigen, immer Schuld auf andere schiebend, kein Gefühl für Rhythmus, Zyniker, Egoist, Macho, Frauenheld, Sexualproblematiker, liebesunfähig, herrschsüchtig, Sadist, ohne Gertrud keine einzige Inszenierung zustande gebracht, schlechter Maler, unduldsam, konnte nicht küssen.“
Schostack, die bei der Recherche zu Gertruds Leben seltsamerweise auf Gespräche mit deren vier Kindern verzichtet hatte („Die mußte ich nicht führen“), antwortete nur kurz: „Sie wünschen, ich hätte ein anderes Buch geschrieben. Es ist nun aber das geworden, was es ist. Geschriebene Bücher müssen veröffentlicht werden, sie können nicht auf Halde liegen. Bücher sind Verstehensvorschläge. Ihr so fabelhaft kluges, substantielles wird zum Teil ein anderes Publikum ansprechen als das meine. Lassen Sie die beiden Pferdchen doch rennen und sich tummeln, ein jedes auf seiner Weide.“
Das Schostack-Buch ist wirklich ein Renner, die erste Auflage ist ausverkauft, die zweite erscheint noch in dieser Woche. Da nutzen auch juristische Daumenschrauben nichts mehr, die die tief gekränkten und hilflosen Gertrud- Kinder Nike, Daphne und Wolf Siegfried dem Verlag Hoffmann und Campe anlegen wollten. Das Buch erschien mit einigen häßlichen Lücken, die Wieland-Briefe an seine Kinder, nach Nikes Meinung „zu nah am Sakralbereich der Wagner-Kinder entlanggeschnitten“, dürfen auch in der zweiten Auflage drinbleiben, nur unerhebliche Bilder und Zeichnungen von Wieland mußten raus.
Die juristischen Scharmützel sind natürlich beste Werbung für das in ihren Augen „geschmacklose“ Buch der als seriös geltenden FAZ-Feuilletonistin Schostack, das weiß Nike Wagner nur zu gut: „Aber wir waren es unserem Vater schuldig und unserer Mutter auch, sie wollte sich nicht größer machen auf seine Kosten, sie hat immer gesagt: ,Wir waren ein Team.‘ Unser Widerstand hat nichts damit zu tun, daß wir Zensoren wären, das ist Unsinn, wir gehen nur gegen skrupellose Ausbeutung von Menschen vor, denen ihre Würde genommen wird.“ Immerhin einen Fehler räumt Nike ein: „Das angedachte Aufkaufen der Auflage, das ich mit Rainer Moritz, dem Verlagschef von Hoffmann und Campe, kurz mal am Telefon angesprochen hatte, war natürlich eine Schnapsidee. Soviel Geld haben wir gar nicht.“
Dafür fliegen Renate Schostack immer schrillere Schimpfkanonaden der Wagner-Kinder um die Ohren: Familienklatsch auf Bunte- Niveau! Platte Skandalchronik! Feministerischer Rundumschlag! Lore-Roman unter Hedwig- Courths-Mahler-Niveau! Beutelschneiderei! Schmutzkampagne!
Hoffmann und Campe stellt sich vor seine Autorin.“
Schostack glaubt immer noch, daß sie in Gertruds Sinne geschrieben hat und diese erst von den eigenen Kindern „umgepolt“ wurde: „Gertrud hat nach der Lektüre gesagt, es ist ein großer Wurf, auch wenn sie manches anders geschrieben hätte. Sie saß in der Sonne und freute sich, daß sie nicht mehr unterschlagen wird, daß ihre Rolle als Mitregisseurin endlich anerkannt ist. „Mich durfte es nicht geben“, das sagte sie immer, das war ihre Verletzung. Sie war sehr schwankend: Mal gefiel ihr mein Buch, mal nicht. Aber sie hatte kein Vetorecht, sie hätte nur ihre Zitate verändern können.“
Ein Buch, das Gertruds noch lebende Schwestern, Elfriede und Lilo, die Schostack reichlich Material überlassen hatten vorab nur mit Entsetzen lasen, wurden sie doch – ohne daß Schostack sie vorab informierte – in delikate bis rohe Zusammenhänge mit Wieland gebracht. Stellen, die jetzt eleminiert sind, ebenso wie bizarr triviale Details aus der Beziehung der Operndiva Anja Silja mit Wieland: Daß sie vor Wielands Krankenhaus gehupt habe, daß sie in der Villa Wahnfried eine aufblasbare Uhr aufgehängt habe, daß sie aus Wielands und Gertruds Sylter Wohnung einen roten „Puff“ gemacht habe. Schostack findet die Aufregung darüber künstlich und lächerlich: „Die Silja-Affäre war längst bekannt. Aber gut. Ich bin ein friedlicher Mensch. Demnächst schreibe ich wieder Romane, über die sich keiner aufregt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen