: Geschüttelte Schwanzfedern
Andre Williams, der Meister der Sex-Burleske, hat mit jedem Jahr Karriere ein paar Gramm Grease zugelegt. Auf dem Album „Silky“ tropft es sämig aus ihm heraus ■ Von Jenni Zylka
„Wenn du seichte Soulmusik erwartest“, warnt eine Notiz auf dem Plattencover mit drastischer Nonchalance, „dann leg die Scheibe lieber weg. Denn aus diesen Songs sickert öliger Schleim, von den schrägen Beats bis hin zu den anzüglichen Songtexten.“
Der Mann, über den man so lustvoll schweinigelt, heißt Andre Williams und veröffentlichte im Detroit der 50er auf dem Fortune Label einige seiner „ultra greasy tunes“. 1957 landete der 21jährige schwarze „Mr. Rhythm“ einen kleinen Charts-Hit mit seinem Song „Bacon Fat“, einem langsam- groovenden Rhythm'n'Blues-Song mit wunderbar schleppendem Saxophon, perlendem Jazzpiano, Wop-Wop-Diddledee-Chor und dem sexy Bariton von Williams, der in dem Song immer wieder „Have Mercy“ bittet, weil ihm der neue Tanz „Bacon Fat“ einfach zu groovy ist. Und dabei kann er's doch, sein immer leicht neben dem Beat schwimmender, ironisch und sexy-gutturaler Gesang zu den swingenden Instrumenten treibt den Rhythmus genau dahin, wo er ursprünglich mal hinsollte: durch den Bauch in den Unterleib.
Darum im weitesten Sinne drehen sich natürlich auch die Texte. In „Jailbait“ gibt es anzüglich und genußvoll die Tour-Erfahrungen von Bandkollegen mit minderjährigen Sexbomben wieder. „Weißt du, das Mädel folgt den Musikern, die Eltern dem Mädel und die Bullen den Eltern“, sagt er dazu in einem Interview. „15, 16, 17 is still jail bait“, wird im Song lakonisch konstatiert, 15-, 16- oder 17jährige Teenies locken den armen sexuellen Nimmersatt immer noch ins Gefängnis. Lange vor der PC-Debatte, als Musik entweder kommerziell und erfolgreich oder provokant war, singt er von Mädchen, die's wissen wollen. Naiver Sexismus als Provokation gegen die Tabuisierung der Sexualität in den 50ern – immerhin befingerte man sich damals erst nach der Verlobung beim Necking oder Petting, und wer's früher tat, war halbstark oder ein gefallenes Mädchen.
Auf den Bandfotos aus dieser Zeit sieht man einen gutaussehenden Mann in schniekem Anzug und mit dezenter Teddytolle neben anderen gutaussehenden Männern (den Begleitbands Five Dollars, Don Juans oder his New Group), die in elegant-coolen 50er-Posen erstarrt sind. Der Unterschied zwischen diesen Hipsters, die in ihren Köpfen Songs wie „The Greasy Chicken“ ausbrüten, einen schlüpfrigen neuen Tanz, der um die Welt geht („In Germany they say: Was ist los, the greasy Chicken!“), und einer DooWoop-Band wie den Platters ist der zwischen Elvis und Rudi Schuricke oder zwischen Punk und Pop. Williams erinnert mit seinen Slowbeat-Bluesnummern eher an den durchgeknalltesten aller Bluesmusiker, Screaming Jay Hawkins, oder an amüsant Verrückte wie den weißen Legendary Stardust Cowboy als an den vergleichsweise harmlosen „Mr. Pitiful“ Otis Redding, und bis James Brown zur „Sex Machine“ wurde, brauchte es noch Jahre – inklusive einer sexuellen Revolution.
Nach den prüden 50ern und noch mehr obskuren R&B-Songs wie „(M M M Andre Williams is) M-M-Moving“, in dem es endlich um das obligatorische Auto geht, versuchte sich Williams als Producer und Songwriter, unter anderem für das Motown-Label. Für die Five Du-Tones schrieb er den Megaseller „Shake a tail feather“, in den 70ern enterte er die Charts mit „Cadillac Jack“. Die 90er brachten ein überraschendes Comeback des „Dirtiest old man“: 1996 kam das Album „Greasy“ auf dem New Yorker Label Norton Records heraus, auf dem Williams unter anderen begleitet wird von Originalmitglied Pirkle Lee Moses Jr. und Dick Taylor von der berüchtigten englischen 60er Schmuddelband Pretty Things. Und natürlich hat er noch immer den Tiger im Tank: „In „Lemon Squeezin' Daddy“ mimt er wieder den gefährlichen Schlüpferstürmer, „Mother Fuyer“ plätschert als kleines Boogiestück mit schmutzigem Text daher.
Jetzt schreiben wir 1998, die Cramps laufen mit „You smell good, like a bad girl should“ auf Viva, auf Sixties-Parties allerorts kann man Betty-Page-Videos und -Lookalikes begutachten, und Schwarzwälder Bazis machen mit „Vampyros Lesbos“-Strip-Bars in New York Furore – Trash/Sex- Kultur hat ihren Platz in der Szene gefunden. Und der frivole alte Mann bringt wieder eine Platte heraus, die alles Vorherige an Schmutz und Burlesque-Sex toppt: „Silky“ heißt das Album, auf dessen Cover programmatisch die Hand eines schwarzen Mannes einen nackten Frauenhintern mit „visible suntan line“ betatscht. Gitarre spielt Dan Kroha, der zu Hause in Detroit meist nur notdürftig verhüllt mit einer Trashband auftritt, Mick Collins spielt Schlagzeug und produzierte die Platte, auf der die Stücke anzüglich „Looking down at you-looking up at me“, „Let me put it in“ und „I wanna be your favourite pair of pyjamas“ heißen. Die Musik ist Garagensound, verzerrte Gitarre, Sonicsgebrülle und Rock'n'Roll- Schlagzeug. Musik, die in den 60ern Beatpunk hieß und heute wenig Chancen hat, auf Easy-Listening-Parties zu laufen.
Statt dessen stellt man sich vor, daß zu „You've got to be agile, mobile and hostile“ verschwitzte Männer über 30 und verrutscht toupierte, gar nicht girlige Frauen zu donnerndem Psychobillie- Schlagzeug und Schrammelgitarre wilde Sauf- und Tanzorgien feiern. Als ob der Opa auf der Coverrückseite mit jedem Lebensjahr eine Stufe schmuddeliger geworden ist.
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