piwik no script img

Die Behörde weiß, wer wo was kauft

■ Einen Vorläufer der Asylcard gibt es schon. Wer in einem Berliner Wohnheim untergebracht ist, zahlt seit 1. 8. bargeldlos per „Chipkarte“

Berlin (taz) – Ohne Plastikgeld geht in Berlin nichts mehr. Allerdings nur zwangsweise: Seit dem Wochenende können die rund 2.100 AsylbewerberInnen, die hier in Übergangswohnheimen untergebracht sind, nur noch mit einer Chipkarte einkaufen. Berlin ist das erste Bundesland, das Sozialhilfe über elektronische Karten speichern und verteilen läßt.

Die Chipkarte, die von der Münchner Firma Infracard entwickelt wurde, kann durchaus als Testläufer für eine Asylcard gewertet werden. Denn mit der Karte kann jederzeit von der Berliner Sozialverwaltung festgestellt werden, zu welcher Zeit, in welcher Höhe und bei welchem Händler eingekauft wurde. Damit seien detaillierte Bewegungsprofile erstellbar, kritisieren Flüchtlingsorganisationen.

Jedoch wird nicht gespeichert, welche Waren die Flüchtlinge gekauft haben. Bei „Mißbrauchsverdacht“ kann die Verwaltung laut Asylbewerberleistungsgesetz aber auch das nachprüfen. So dürfen AsylbewerberInnen von dem gespeicherten Geld keinen Alkohol und keine Zigaretten kaufen. Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz sei die aufladbare Karte rechtens, so der Datenschutzbeauftragte Hansjürgen Garstka.

Die Berliner Sozialsenatorin Beate Hübner glaubt, die Chipkarte verhindere Mißbrauch von Sozialhilfe. Als Beispiel nannte die CDU-Politikerin Schlepperbanden, die den Flüchtlingen Bargeld abnehmen könnten. Außerdem solle der Anreiz, nur aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland zu kommen, durch das Sachleistungsprinzip verhindert werden.

Bisher bekamen die AsylbewerberInnen Wertgutscheine. Mit denen konnten sie in zwei von der Firma Sorat betriebenen Läden und einigen kleinen türkischen und arabischen Lebensmittelläden einkaufen. An dem „Modellversuch“, wie es die Sozialverwaltung nennt, sind jetzt immerhin 80 Läden, auch Ketten wie Edeka oder Rewe, beteiligt, jedoch keine Discounter wie Aldi. Für Rita Kantemir vom Flüchtlingsrat ist die bargeldlose Versorgung per Karte zwar „ein gewisser Fortschritt“, weil die Palette der Lebensmittel jetzt größer sei. „Es ist aber ein Unterschied, ob ich freiwillig bargeldlos mit der EC-Karte einkaufe oder ein Asylbewerber dazu gezwungen wird.“ Das Sachleistungsprinzip ist insgesamt „entwürdigend und diskriminierend“, so Kantemir.

Einem erwachsenen Asylbewerber stehen derzeit monatlich rund 360 Mark zu. 40 Mark werden in Kleidergutscheinen ausgegeben, 80 Mark bekommt er weiterhin bar als Taschengeld. Die restlichen 240 Mark werden auf der Chipkarte gespeichert und dürfen für Lebensmittel und Hygenieartikel verwendet werden. Die Münchner Firma Infracard bekommt rund 1,5 Prozent des Umsatzes. Bei 2.100 Asylbewerbern macht das monatlich knapp 10.000 Mark aus. Julia Naumann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen