: Gegenübertragungen und andere Kleinigkeiten
■ Karikatur psychoanalytischer Therapie, Kritik an der Pariser Intellektuellenszene, Metafilm, das Leben: Catherine Deneuve und Michel Piccoli in einem Film von Raoul Ruiz
„Genealogien eines Verbrechens“ von Raoul Ruiz ist in großen Teilen ein Film über das Phänomen der Übertragung, ein in der psychoanalytischen Therapie geläufiges Mittel der Behandlung. Dabei repräsentiert der Therapeut für den Patienten genau die Welt, mit der dieser bisher nicht zurechtkam. So wie zum Beispiel die Tochter den verstorbenen Vater liebt mit der mitunter problematischen Folge, keine tragfähigen Beziehungen zu anderen Männern eingehen zu können.
Auf die Erkenntnis auf der Couch folgt die Deutung, die Übertragungssituation muß sich wiederauflösen. Allerdings funktioniert sie hier nicht, die Übertragungen sind in „Genealogien eines Verbrechens“ von Anfang an schon Gegenübertragungen. Diese kommen den Protagonisten des Films dauernd in die Quere und lassen die Geschichte in einer (zweiten) Katastrophe enden. Sie sind aber auch das Mittel für die vielen komischen und teilweise abstrusen Momente, die sich durch den Film schlängeln – Ruiz karikiert mehr, als daß er Kritik übt.
Die beiden, die das in „Genealogien eines Verbrechens“ nicht so richtig hinbekommen mit dem Übertragungsmodell, sind Solange (Catherine Deneuve) und René (Melvil Poupaud). Solange ist die Verteidigerin von René, der angeklagt ist, seine Tante mit einem Messer umgebracht zu haben. Solange versucht zu beweisen, daß René nicht das „Monster“ ist, wie er in seiner zutiefst feudalen Umgebung genannt wird, sondern unschuldig: Er ist das Opfer, nicht der Täter. Das Opfer eines Spiels, einer Verschwörung, deren Einladung zum Mord er schließlich nicht mehr widerstehen konnte. Scheitern aber tun sie allein schon deswegen, weil Solange in René ihren verstorbenen Sohn sieht.
Diese Geschichte, die übrigens auf einer wahren Begebenheit aus den 20er Jahren beruht und auch im Film selbst ihre Reflexion erfährt, wird von Ruiz labyrinthisch erzählt, auch spiralförmig, mit einem Ende, das an den Anfang weist. Mit vielen Rückblenden und ständig wechselnden Perspektiven, mit einseitig transparenten Spiegeln und geheimnisvollen Codes. Oft weiß man als Zuschauer nicht, in welcher der vielen rot, blau und vor allem braun getönten Kammern des Films man sich jetzt wieder verirrt hat. Was den Film mitunter zu einer quälenden Angelegenheit macht, der man allerdings der guten Besetzung wegen bis zum Ende nicht aus dem Weg geht. Und schließlich gilt Weglaufen, liegt man einmal auf der Couch, sowieso nicht!
Doch so geht das auch den Protagonisten des Films. Fast immer stehen oder sitzen sie sich zu zweit gegenüber. Wer welche Rolle in dem verbrecherischen Spiel übernimmt, ist ihnen oft selbst nicht klar: Solange und ihre Mutter (die übrigens von Deneuves eigener Mutter gespielt wird, von Monique Melinand [!]); Solange und ihr Anwalt; Solange und Georges (Michel Piccoli), Vorsitzender einer obskuren psychoanalytischen Gesellschaft, in der auch Renés Tante Mitglied war; Georges und sein literaturbesessener intellektueller Gegenspieler Verret (Hubert Saint Macary). Solange und René, René und die Tante, usw. usf.
Ruiz selbst hat in einem Interview gesagt, für ihn sei der Film eine Metapher auf das Filmemachen überhaupt, und trotz seiner Skepsis gegenüber der Psychoanalyse vor allem auch eine Kritik an der winzig kleinen Welt der Pariser Intellektuellen. Spuren und Deutungen gibt es also genug. „Genealogien eines Verbechens“ aber weist letztendlich mehr in das wirkliche Leben, als es einem lieb sein mag. Gerrit Bartels
„Généalogies d'un crime“; Regie: Raoul Ruiz, Drehbuch: Raoul Ruiz und Pascal Bonitzer. Mit Catherine Deneuve, Michel Piccoli, Melvil Poupaud, Andrzej Seweryn, Monique Mellinand u.a.
Ab heute im fsk am Oranienplatz, O.m.U., 17.45 und 20.45 Uhr
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