piwik no script img

Einfach Rasen mähen

Das Mädchen und der böse Wolf als Wohnwagenbewohner. John Duigans Märchen „Heimliche Freunde“  ■ Von Thomas Winkler

Kino macht einen glauben. Im Kino stoppen junge Männer mal eben so ihren Pick-up-Truck, um nackt einen zweieinhalbfachen Salto von einer Brücke hinzulegen. Im Kino klettern zehnjährige Mädchen auf Hausdächer und heulen dort den Mond an. Im Kino stehen mitten im Wald Wohnwagen. Man ist zum Glauben im Kino, sonst wär' man nicht da. Man muß glauben. Insofern ist „Heimliche Freunde“ großes Kino. Filme haben schon vor langer Zeit die Rolle der Märchen übernommen. Komisch daran ist nur, daß einem das immer erst bei Filmen wie „Heimliche Freunde“ auffällt und nicht etwa bei, sagen wir mal, „Armageddon“.

Weil wir gerade dabei sind: Bruce Willis darf immerzu die Welt retten. Das ist bekannt. Weniger bekannt ist, daß Sam Rockwell ständig in abgerissenen Wohnwagen im Wald wohnen muß. So war es in „Box of Moonlight“ (Tom DiCillos Flop vor „Echt Blond“), so ist es auch in „Heimliche Freunde“. Möglicherweise reicht diese Tatsache ja für einen Platz in der Filmgeschichte. Von diesem Wohnwagen also ziehen Rockwell alias Trent, sein kindliches Gemüt und sein Truck los, um in der Welt da draußen den Rasen zu mähen. Denn: „Es gibt Leute, die den Rasen besitzen. Und es gibt Leute, die den Rasen mähen.“ Eben die „Lawn Dogs“, nach denen der Film im Original betitelt ist und von denen Trent einer ist.

Die Welt da draußen ist eine Karikatur. Die Welt ist eine Neubausiedlung mit dem sprechenden Namen „Camelot Gardens“. Hohe Wände und ein strenger Wachschutz halten Eindringlinge ab. Es gibt keine Zäune, aber auch keine Menschen auf den Straßen. Immerzu scheint die Sonne, regnet es aus Rasensprengern und drehen fahrbare Rasenmäher ihre Kreise. Bei Papa sitzt die Krawatte überkorrekt. Er ist davon überzeugt, daß „jeder, der hart arbeitet, es zu etwas bringen kann“ ...und dafür von seiner Frau mit dem Studenten aus der Nachbarschaft betrogen wird. Kurz gesagt: Es ist so wie in jeder amerikanischen Vorstadt. Was man auch daran merkt, daß „Camelot Gardens“ nicht extra aufgebaut wurde, sondern genau so existiert, auch wenn es im richtigen Leben „Hunting Creek“ heißt. Nur an der Perfektion der Rasenflächen mußten die Ausstatter zwei Monate lang hart arbeiten.

Gerade frisch eingetroffen in der Vorstadt ist Devon. Deren Eltern stecken sie in allerliebste Kleidchen, die sie nicht mag, also drückt sie Fliegen anstatt der Rosinen in die Plätzchen, die ihre Mutter backt. Die Kinder aus der Nachbarschaft verachtet sie, denn „die stinken nach TV“. Dann setzt sie sich ihre quietschrote Baskenmütze auf und geht in den Wald, um dort nicht den bösen Wolf, sondern den Wohnwagen von Trent zu finden. Natürlich freunden sich die beiden Außenseiter an.

Natürlich gibt das viel Ärger für Trent. Der Zorn der Vorstadt richtet sich gegen ihn, weil in den Köpfen der Vorstadtbewohner genau dieselben Mechanismen ablaufen wie in denen der Zuschauer. Der Trick von „Heimliche Freunde“ ist, daß der Film eben das sehr genau weiß. Der Film spricht über Mißbrauch, ohne tatsächlich über ihn zu sprechen. Zwar gibt es eine, vielleicht zwei Szenen, die man sexuell konnotiert nennen könnte. Aber selbst als Trent und Devon gegenseitig ihre Operationsnarben berühren oder am Fluß zu Bruce- Springsteen-Musik die Hosen runterlassen, um Anglern den nackten Arsch zu zeigen, wird das Thema Mißbrauch erst deshalb zum Thema, weil unser Kopf, unser Vorwissen, die Medien es zum Thema gemacht haben.

Aber: Man kann „Heimliche Freunde“ vorwerfen, er drücke sich um eine Aussage. Er wisse nicht, was er sagen will, ob er Gesellschaftskritik sein will oder Poesie. Man könnte meinen, daß ihn die Vorgeschichte seiner Charaktere nicht interessiert. Doch diese Defizite sind darin begründet, daß „Heimliche Freunde“ eben nichts sagen, sondern etwas zeigen will. Daß er nicht Soziologie, sondern ein Film ist. Und in dieser Eigenschaft, als Film, zeigt er. Zeigt, daß es die Freundschaft zwischen Devon und Trent geben kann. Zeigt, daß eine solche Freundschaft sexuelle Seitenaspekte haben kann. Zeigt aber auch, daß eine solche Freundschaft halt auch nur eine Freundschaft sein kann. So rückt „Heimliche Freunde“ die maßlose Hysterie in gewisser Weise wieder zurecht.

Vor allem aber ist „Heimliche Freunde“ ein Märchen. Die Freundschaft zwischen Trent und Devon aber wirkt nicht märchenhaft. Es ist die Siedlung, die Rasenflächen, die stereotypen Einfamilienhäuser, die Welt da draußen, die surreal inszeniert sind. Im Gegensatz dazu wirken der endlose blaue Himmel und das weite, grüne Land des mittleren Westens sehr vertraut, fast heimelig. Die Freundschaft aber ist das einzige, das so real ist, daß es lohnen würde, sich daran festzuhalten. Zur Rettung allerdings braucht es dann doch magische Kräfte, märchenhafte eben. Thomas Winkler

„Heimliche Freunde – Lawn Dogs“, Regie: John Duigan. Mit Sam Rockwell, Mischa Barton, Christopher McDonald, Kathleen Quinlan, USA 1997, 101 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen