: Fadenscheiniger Pluralismus
■ betr.: „Haß statt Diskussion“, taz vom 15. 7. 98
Das ist wirklich erschütternd – da findet der Herr Innensenator mal Zeit, öffentlich zu diskutieren, wo er doch sonst so viel zu tun hat bei der Kontrolle des Deutschtums seiner Stadtbezirke und bei der Abschiebung der illegalen Bosnier, und dann wird er einfach an der Freien Uni ausgebuht. Die da buhen, findet Ralph Bollmann, sind noch schlechtere Demokraten als der, der sich da im völkischen Grau bewegt. Ist also das Auspfeifen eines Redners eine tiefgreifende Verletzung demokratischer Grundregeln, schlimmer als das volkstümelnde Grauen? Demokratie funktioniert unter Gleichen. Die da pfiffen, waren keine Teilnehmer einer Podiumsdiskussion mit gleicher Redezeit, sondern Zuhörer, die auch mal eine Frage stellen dürfen. Sofern sie Ausländer sind, haben sie kein demokratisches Stimmrecht als Staatsbürger, selbst wenn sie hier geboren sind. In Teilen Berlins und Deutschlands ist derzeit die rechtsstaatliche Garantie ihrer persönlichen Würde und körperlichen Unversehrtheit praktisch aufgehoben. Der Mensch, der als Innensenator Berlins für ihre Sicherheit und damit unseren Rechtsstaat verantwortlich wäre, beschimpft lieber jene Bezirke, in denen viele Ausländer leben, als undeutsch. Wie das auf den rechten Terror wirkt, dürfte Euch klar sein. Und da ist Pfeifen eine Demokratieverletzung? Meint Ihr, Herr Schönbohm ist vielleicht nicht so ganz informiert über die Zahl der rechtsextremen Gewalttaten oder brauchte Aufklärung über die Vorzüge der offenen Gesellschaft? Ist es demokratischer, wenn Rotkäppchen noch ein paar Fragen mehr stellen darf?
Es ist erschütternd, daß ausgerechnet der taz die Analyse der herrschenden Machtverhältnisse abhanden gekommen ist. Andreas Heinz
Es ist ebenso bedauerlich wie zynisch, wenn die taz in ihrem Leitartikel Exgeneral Schönbohm wegen seiner brutalen Abschiebepraxis zu Recht verurteilt, wenige Tage später jedoch Ralph Bollmann in seinem Kommentar den Innensenator gegen die „aggressive Stimmung in der FU“ in Schutz nimmt. Hinter dem von Ralph Bollmann vermuteten „simpel gestrickten Antifaschismus“ der „Dahlemer Möchtegern-Politiker“ stehen die bitteren Erfahrungen mit der Ausländerpolitik des Berliner Senats. Nur allzuoft muß das AusländerInnenrefereat des Astas der FU seine ganzen Bemühungen daransetzen, um ausländische StudentInnen vor Übergriffen aller Art zu schützen: StudentInnen, die kurz vor ihrem Studienabschluß abgeschoben werden sollen, die von DozentInnen in rassistischer und/oder sexistischer Weise beschimpft werden, die auf offener Straße zusammengeschlagen werden. Dies ist die harte Realität an unseren „internationalisierten“ Hochschulen. Insbesondere deshalb gehört Politik an die Hochschule, was jedoch der RCDS mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Derselbe RCDS, der per Gericht eine Veranstaltung des Astas zum Thema Rassismus verbieten läßt, nimmt sich das Recht heraus, Schönbohm oder Schäuble an die FU einzuladen und obendrein die BesucherInnen Leibesvisitationen und Ausweiskontrollen zu unterziehen. In diesem Fall war dies die „denkbar plumpeste“ Provokation. Da der RCDS aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in den demokratisch legitimierten Organen der StudentInnenschaften nicht mitspielen darf, setzt er alles daran, mittels einer bundesweiten Klagekampagne die Entpolitisierung der Hochschulen systematisch voranzutreiben. Dabei rechtfertigt er sich mit einem fadenscheinigen „Pluralismus“. So stellt sich wahrlich die Frage, wer hier die „schlechteren Demokraten“ abgibt. Mit seinem Kommentar lieferte Ralph Bollmann nicht nur einen Schlag ins Gesicht aller ausländischen StudentInnen, der Artikel ist auch eine Verhöhnung der politisch engagierten StudentInnen, die die Hochschule als einen Ort kritischer Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität erhalten wollen. Doch dies ist nach dem totgelobten Protest des letzten Winters offenbar nicht mehr hip genug. Ulrike Gonzales,
Mitglied im Vorstand des freien
Zusammenschlusses von
StudentInnenschaften (fzs)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen