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Ein Kleid im Mondscheinglanz

■ Am Anfang eine Leiche, am Ende eine Kehrtwendung zuviel: „Scharfe Täuschung“

Wenig Licht, wenig Helles gibt es in diesem Film: ein paar weiße Lilien in einem Blumenbouquet, das einen Sarg schmückt, Sonnenstrahlen, die durch die Schlitze der Jalousie in ein dunkles Zimmer fallen, ein im Mondschein leuchtendes Kleid, getragen von einer jungen Prostituierten, die bereits tot ist, als die Handlung einsetzt. Passend zu soviel Düsternis fährt die Kamera spannungssteigernd über den Boden oder nähert sich den Figuren von hinten – ganz wie im Horrorgenre.

„Scharfe Täuschung“ – so der unglückliche deutsche Titel für „Liar“, den zweiten Spielfilm der Zwillingsbrüder Jonas und Joshua Pate – arbeitet mit dem klassischen „Whodunit“-Muster, ohne die Auflösung preiszugeben. Am Anfang ist die Leiche einer Frau, in zwei Hälften zerteilt: ein grausiger Fund. Kommissar Kennesaw (Michael Rooker) und sein Assistent Braxton (Chris Penn) übernehmen die Ermittlungen. Schnell finden sie in Walter Wayland (Tim Roth) einen Verdächtigen. Ein Lügendetektor soll den Weg zum Geständnis abkürzen, doch Wayland gelingt es, den Spieß umzudrehen.

Als Sohn eines Textilmagnaten und Princeton-Absolvent, so will es die Logik des Films, ist er den Cops weit überlegen. Den Intelligenzquotienten der Figuren messen die Pates dabei eine große Rolle bei. Warum sie der Annahme aufsitzen, Zahlen wie 151, 122 oder 102 sagten etwas aus, bleibt unklar. Auch dem sozialen Status fällt eine geradezu deterministische Kraft zu: Daß Kennesaw ein Emporkömmling ist, macht ihn angreifbar; daß Wayland aus bestem Hause stammt, verleiht ihm Souveränität – bei allem Ärger mit den dünkelhaften Eltern. Bald stellt sich heraus, daß die vermeintlich integren Cops mehr Dreck am Stecken haben, als ihnen lieb sein kann. So beginnt ein Katz-und- Maus-Spiel, von den Pates nach einem leicht durchschaubaren Prinzip inszeniert: Mit jeder neuen Enthüllung wähnt sich der Zuschauer ein Stück näher an des Rätsels Lösung, wird aber gleich darauf durch eine neue Information in Verwirrung zurückgestoßen. Was plausibel schien, wird als Lüge decouvriert; was Aufklärung versprach, führt nur in die Irre. Noch ganz am Ende erlaubt sich „Scharfe Täuschung“ eine solche Kehrtwende – und dreht sich damit mindestens einmal zuviel, ganz so, als wollte der Film nicht nur die Figuren, sondern auch sich selbst der Unaufrichtigkeit bezichtigen. Cristina Nord

„Scharfe Täuschung“. Buch & Regie: Jonas und Joshua Pate. Mit Tim Roth, Michael Rooker, Renee Zellweger, Rosanna Arquette, Chris Penn, USA 1997, 102 Min.

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